piwik no script img

Teures Bekenntnis

Mit „I love New York“ zeigt Jochen Poetter, der neue Direktor des Kölner „Museum Ludwig“, wie US-Pop heutzutage aussieht – oder: Travolta für den Hausgebrauch  ■ Von Harald Fricke

Die Szene ist hoffnungslos. Fast erhaben. In einen Müllsack eingeschnürt versucht Cheryl Donegan mit dem Pinsel im Mund ein Bild zu malen. Als Modell dient ihr das Polaroid einer Frau, die im schwarzen BH vor einer weitläufigen Wand fotografiert wurde. Über den Kopf hat sie eine Plastiktüte gezogen. Für Donegan ist die Videosequenz Grundlage zu „Artists & Models“, einer Serie mit Arbeiten, auf denen die 1962 geborene Künstlerin versucht, Malen als Performance zu filmen, um die Aktion dann in unzähligen Varianten auf Ölbildern zu rekonstruieren. Es ist ein Selbstporträt der Künstlerin, die zwischen Opferhaltung und Produktionsbedingungen nicht trennen mag.

Jochen Poetter vom „Museum Ludwig“ in Köln hat an diesem mühsamen Procedere vor allem das Detail mit der Tüte gefallen: Der Aufdruck „I love New York“ ist nun Titel seiner Antrittsausstellung als neuer Direktor des Hauses. Dabei interessiert er sich ganz unverblümt für die Durchschlagskraft des Klischees. Was sonst auf unzählige Postkarten gedruckt als flüchtiger Touristengruß dient, steht bei Poetter für die ungebrochene Faszination an der Kunst aus der Hauptstadt der Kunst. Ein bißchen schwingt darin auch die Jetzt-erst-recht-Haltung in Zeiten von „young british art“ und berlintypischer Deko-Hipness mit. Am Ende der neunziger Jahre soll „I love New York“, zumal in Köln während der Kunstmesse präsentiert, auf all jene älteren Verbindlichkeiten zurückverweisen, die für Poetter trotz „Sensation“ und „berlin biennale“ weiterhin existieren. Ganz falsch liegt er mit diesem Bekenntnis nicht – immerhin wurde mit der Kölner Pop-art- Sammlung des Schokoladenmultis Peter Ludwig überhaupt erst eine Idee von zeitgenössischer Kunst in Deutschland installiert.

Auf musealer Ebene funktioniert der Brückenschlag einigermaßen schlüssig. Gleich am Eingang trifft man auf eine von Dan Grahams notorischen Architekturboxen, die mittlerweile als sozialer Tummelplatz zu jeder avancierten Ausstellung gehören wie Blumenampeln in Fußgängerzonen. Auf der Treppe, die links in den Hauptraum führt, hat Piotr Uklanski einen rot, gelb und blau flackernden Fußboden als Hommage an Travoltas Tanzfläche in „Saturday Night Fever“ installiert. Wer will, kann hier schwer interaktiv zu handelsüblicher House-Musik rauf- und runtertanzen, später geht es mit Thom Merricks raumgroß aufgeblasenem Spielzeugsaurier Richtung „Jurrasic Park“, der als Allegorie auf den Ready-made- Charakter von Entertainment gelesen werden soll. Umgekehrt möchte sich Mark Dion mit seinem „Monster“ vom Massenspektakel distanzieren: Eingepfercht in ein Mini-Zirkuszelt und von Heuballen gerahmt steht dort das Skelett einer Kuh, auf die ein Bärenschädel montiert wurde – fertig ist „The Terror of Transsylvania“. Dahinter hat Matthew McCaslin ein Dutzend Monitore aufgetürmt, die nächtliche Hochhausfassaden als Dienstleistungskulisse wiedergeben. Die Visuals erinnern an die formschön kühlen Techno-Videos des Berliner „Elektro“-Clubbetreibers Daniel Pflumm, auch wenn McCaslin mit allerhand Kabelgewirr sehr viel Wert auf die handwerkliche Komplexität seiner Videowände legt.

Komplett episch ist dagegen die Arbeit von Doug Aitken angelegt. Sein Video „Eraser“ entstand in diesem Jahr auf der britischen Karibikinsel Montserrat, die 1997 nach einem Vulkanausbruch durch die Labour-Regierung gegen den Willen der Bevölkerung evakuiert wurde. Für den kolonialen Hintergrund des Konflikts hat Aitken nichts übrig: Ein Jahr später sieht Montserrat bei ihm nach Urzeitparadies, Friedhof und Lavawüste aus. Während der südliche Teil mit Pflanzen überwuchert ist, hat sich die Vulkanasche wie in einer Science-fiction-Apokalypse über die Hauptstadt Plymouth gelegt. Irgendwo im Staub liegen verkohlte Überreste eines Fernglases – man kennt solche Aufnahmen aus Hiroshima-Dokumentationen. Statt allerdings bleiern in die Katastrophenästhetik einzubiegen, gestaltet Aitken seine drei Projektionsräume gezielt an der Grenze zum Kitsch. Ständig verwandeln sich die Spuren der Vernichtung in übertriebene Fin-de-siècle-Ornamente, zoomt die Kamera auf durchlöcherte Satellitenschüsseln zu, als wäre man bei Arnold Böcklin im Garten. Zugleich kommen einem Robert Smithsons menschenleere Land-art-Gebilde in den Sinn – und immer wieder Videos aus der Chill-out-Zone, nachts auf MTV.

Die Institution zum Tanzen bringen: Finanziert wird Poetters aufwendige Liebeserklärung, für die insgesamt 28 New Yorker KünstlerInnen teils spezielle Installationen eingerichtet haben, nicht aus dem Museumstopf, sondern durch die Philip Morris Kunstförderung. Schließlich hat das Projekt deren neu ausgeschriebenen „ProSpektive“-Preis gewonnen: Im Februar wählten fünf internationale KünstlerInnen – darunter Jenny Holzer, Lawrence Weiner und Rosemarie Trockel – aus elf Vorschlägen „I love New York“ zum originellsten Ausstellungskonzept. Die Idee, aus diversen Disziplinen, Medien und Stilen ein Crossover zusammenzumixen kommt gut an in Zeiten von weltweiter Clubkultur. Vielleicht ein bißchen zu gut. Tatsächlich hätte sich die Werbeabteilung von Philip Morris selbst auch kein flotteres Leitmotiv ausdenken können.

Entsprechend liest sich die Kölner Künstlerliste wie ein „Rock am Ring“-Line-up: Laurie Anderson und David Bowie haben beim Telefonieren gemeinsam wunderliche kleine Zeichnungen hingekritzelt; Charles Long hat Skulpturen aus Plastilin geformt, in denen CD- Player mit extra komponierter Musik der US-Elektroniker Stereolab stecken; von Mariko Mori stammt eine unverschämt teure Videoproduktion, in der die gebürtige Japanerin als Space-Geisha durch einen Spinnwebenwald geistert; Tony Oursler hat als Spezialist für Trash ziemlich lebendige Müllhaufen quer durch New York fotografiert; und Jutta Koether bildet mit Rita Ackerman und der Bassistin von Sonic Youth, Kim Gordon, eine Art malendes Frauenkollektiv namens „free time“, das Action-painting mit der Frage nach feministischer Autorenschaft verknüpft. Nebenbei durften „free time“ am Samstag auch als Band auftreten, für morgen ist ein Konzert von Christian Marclay angekündigt, der in der Kölner Philharmonie drei DJs mit 15 Flötisten mixtechnisch kurzschließt. So viel Spaß kostet: eine siebenstellige Summe, wie Elfriede Buben von der Philip Morris Kunstförderung zur Pressekonferenz recht nonchalant verkündete, „über die genauen Kosten können wir aus verständlichen Gründen keine Auskunft geben“.

Daß bei der Realisation nicht auf das Geld geachtet werden mußte und „I love New York“ zudem nicht einmal die Kosten einzuspielen braucht, ist eine schöne und seltene Angelegenheit. Darüber kann und soll sich Köln ruhig ausgiebig freuen dürfen. Trotzdem bleibt bei lauter Begeisterung für Pop und Glam und Metropolen- Chic einige Skepsis: Was ist eigentlich mit dem Crossover-Anspruch gemeint, der hier als Gleitmittel Sponsor, Kunst und Publikum gleichermaßen versöhnt?

Tatsächlich berührt die Kölner Starparade historische Crossover- Formen nur am Rande. In den 60er Jahren stand der Slogan für die Bemühungen afroamerikanischer Jazzmusiker, die Identitätsmodelle im erweiterten Kulturbegriff aus einer zersplitternden Bürgerrechtsbewegung herüberzuretten; während der 80er Jahre gab HipHop den Beat für die Vermittlung von Race-/Class-/Gender-Debatten bis in den weißen Hardcore vor. Mittlerweile bezeichnet Crossover jedoch nichts als ein weites Feld kultureller Vermarktungsstrategien zwischen Globalisierung und Pluralismus, die sich vom sogenannten Synergieeffekt im Wirtschaftsleben nur marginal unterscheiden. Das weiß auch Poetter, der zur Einführung in die Ausstellung lieber vom vagabundierenden Künstler und von flüssigen Konstellationen sprach, die „sich nicht ideologisch festlegen lassen“. Auf New Yorker Verhältnisse angewendet, setzt sich eine solche Positionierung zwar über das Gehader politisch korrekter Kontext-Künstler hinweg. Doch die Freude am risikolosen Floaten im Einklang mit Deleuze/Guattari und Ambientsounds hinkt der aktuellen Situation schon wieder hinterher: Als Konsequenz aus der britischen Invasion der letzten Jahre wird derzeit mit einer großen Jackson-Pollock-Retrospektive im Museum of Modern Art das Malerei-Revival angeschoben.

Daß „I love New York“ nach dem Erfolg der neuen „Großzügigkeit“ in den Chelsea-Galerien die Rückkehr zur Leinwand mit berücksichtigen muß, sieht man in zwei, drei Kabinetten, in denen etwa Jacqueline Humphries abgeschabte graue Streifen über großformatige Gemälde zieht; oder bei Stephen Keene, der ein offenes Atelier im Ludwig Museum aufgebaut hat und dort im Schnellverfahren expressiv den Kölner Dom in Serie malt – gleich zum Mitnehmen, als Weihnachtsgeschenk für 50 Mark.

Seltsamerweise finden sich aber selbst bei Jack Pierson Verweise auf Malerei, obwohl er für Köln ein milieukritisches Striplokal eingerichtet hat. „Für mich sind Maler- und Künstler-Sein austauschbare Begriffe“, wird Pierson im Katalog zitiert, ohne groß nachzufragen. Das ist methodisch fragwürdig, und als biographische Aussage bloß beliebig. In dieser defensiven Haltung aber trifft sich das Statement mit Poetters Einschätzung von Popkultur im Museum. Weil das Museum als humanistische Bildungsstätte erledigt ist, möchte Poetter mit Clubbing und Sampling-Kunst „neue Erlebnisräume“ schaffen. So muß sich „I love New York“ am Ende damit begnügen, als Jungbrunnen für den Kunstbetrieb neue Zielgruppen zu erschließen. Das ist künstlerisch zwar durchweg gelungen, aber als Konzept aus Spiel und Tanz nicht allzu weit von der „berlin biennale“ entfernt, vor der man sich doch gerade in Köln eher gruselt.

Bis 31.1.1999, Museum Ludwig, Köln. Katalog 38 DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen