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Totenmesse der Subventionskultur

Das Berliner JazzFest liegt im Koma, und keiner hat es ihm gesagt. Jetzt kann nur noch Michael Naumann helfen  ■ Von Andreas Becker

Das war das Jazzfest 98, das nächste Jazzfest findet vom 4. bis 7. November 1999 statt. Vielen Dank.“ Die trockenen Worte Peter Schulzes von Radio Bremen besagten mehr, als die aus dem Haus der Kulturen strömenden Jazzfans vermuteten. Denn im Vorfeld des JazzFests war bekanntgeworden, daß der finanziell dauerkränkelnde SFB sich womöglich vom JazzFest zurückziehen würde – und damit dominoeffektiv auch die anderen ARD- Sender. Sonntag nachmittag traf sich das ARD-Gremium der deutschen Radiojazzpäpste, und was kam raus? Natürlich nichts Konkretes. Der SFB habe sich den Rückzug offengehalten, aber noch nicht angetreten, hieß es von Seiten der veranstaltenden Berliner Festspiele. Insgeheim hatten die ARD-Leute jedoch längst deutlich gemacht, daß ihnen die Sache zu teuer und zu quotenvermiesend wird. Bis auf den Samstagabend mit Oscar Brown Jr. und der David Murray Big Band waren keine Fernsehkameras zu sehen.

Die Frage, ob das JazzFest überhaupt noch eine Relevanz hat, stellt sich mit jedem Jahrgang heftiger. Wer schon in den Achtzigern vehement gegen den künstlerischen Chef Georg Gruntz polemisierte, weil der ein Jazzrentner sei, hauptsächlich dazu angestellt, das Wohlbefinden einer merkwürdig Mischung aus Schmuddelpulloverträgern und dekadent-schicken Westberliner Jazzheinis zu sichern, der sieht sich heute einem noch älteren Herren als Chef gegenüber, den man als Menschen und Musiker respektiert, der aber schon 1995, bei Antritt seiner Chefrolle, jenseits der 65 Jahre war. Noch zwei Jahre wird Albert Mangelsdorff das JazzFest leiten. Dann werden die Männer – denn Jazz scheint am Ende unseres Jahrhunderts weiterhin unbeleckt von jeglicher Rezeption von Gender- Diskussionen eine Veranstaltung, bei der Frauen nichts zu suchen haben – im Backstagebereich noch ein wenig grauer sein und ihrem Ziel, auf dem Jazzticket heil durch die ARD-Beamtenlaufbahn zu kommen, ein Stück näher. Michael Naura vom NDR konstatierte unter der Hand immerhin den schleichenden Abstieg des JazzFests – aber erstens könne er daran auch nichts ändern, und zweitens sind sich natürlich alle einig, daß man das JazzFest niemals sterben lassen darf.

Doch das JazzFest ist längst mausetot. Von dieser Veranstaltung gehen keine Impulse für die Stadt mehr aus. Hatte man früher programmatisch versucht, das „normale Volk“ für den Jazz zu agitieren, indem man nachts im Delphi mit Arto Lindsay (jajaja, der geniale Gitarrenschrubber war einstmals dabei) seinen Spaß hatte, weil man endlich ungestört über die Spießer in der Philharmonie ablästern konnte und weil man plötzlich rauchen und saufen durfte und nicht nur kopflastig zuhören, ist heute von dem Gedanken, den Jazz „in die Stadt“ zu tragen, nichts mehr zu spüren. „Wo soll man denn hin“, fragte (sich) nicht nur Naura. Doch weil jeder weiß, daß ab dem Jahr 2001 eine wohl nicht gerade schlecht dotierte Stelle als Jazzchef zu vergeben ist und die Gerüchteküche sagt, „laß uns doch mal einen Journalisten als Chef nehmen, Musiker hatten wir jetzt 20 Jahre lang“, strecken die ersten mit Gefälligkeitsartikeln und verschärftem Engagement die bittenden Hände aus.

Michael Naumann, der nun für den Etat der Festspiele verantwortlich sein dürfte, wäre gut beraten gewesen, sich die Totenmesse des Jazz anzuschauen. Das JazzFest ist ein Überbleibsel der Westberliner Subventionskultur. Sogar der Jazz selbst (der noch lange nicht tot ist, nur weil das JazzFest im Koma liegt) scheint längst infiziert vom europäischen Gedanken, er sei ein zu subventionierendes Hochkulturgut. Kein Wunder, eine Mucke in Berlin wird immer noch im fünfstelligen Markbereich bezahlt – für manch einen ein Stipendium. Nichts dagegen zu sagen. Nur: Es gibt Tausende von innovativen Musikern, die darauf warten, auch mal ein Stück vom Kuchen abzubekommen und die für das Geld nicht nur Langweilerjazz abliefern würden. Eine Institution wie das JazzFest, die sich durch Inzucht auch im Kritikerbereich fortpflanzt, hat sich einer demokratischen Qualitätskontrolle längst entzogen. Wenn das einzige Erfolgsargument ausverkaufte Konzerte sind (von denen es einige gab), dann hat auch den Jazz das Quotendenken längst infiziert (am Rande: die Philharmonie war doppelt so groß wie das Haus der Kulturten der Welt).

Es gab zwei, drei ergreifende Momente beim JazzFest, wie die hauchzarte Klavierbearbeitung durch Gonzalo Rubalcaba, der wirklich anrührend demonstrierte, daß der Jazz durchaus (auch ohne Holterdipolter) lebendig ist. Genau deshalb sollte man (Naumann?) das JazzFest schleunigst abwickeln und am nächsten Tag komplett neu gründen. Die Pöstchen werden diesmal per Los vergeben. Aber keiner, der jemals Backstage beim JazzFest rumhing, darf sich an der Lotterie beteiligen.

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