: Zersägte Altäre
■ Abgerissen, zerstreut und wiederentdeckt: Spuren mittelalterlicher Kunst in Hamburg Von Hajo Schiff
Mit Gawein Drachen bekämpfen, sein Schwert der feenhaften Ginevra weihen und hinter dicken Mauern kühner Burgen sagenhafte Schätze horten: Das Mittelalter ist ein Bereich für Träume, Fantasy-Comics und Computerspiele geworden. Ansonsten mag es Mittelalter in Mitteldeutschland geben, Hamburg ist eine moderne Stadt. Um so mehr verblüfft, daß zum Thema „Die Kunst des Mittelalters in Hamburg“ ein dreitägiges Symposion möglich ist, wie letztes Wochenende von der Stiftung Denkmalpflege unter Leitung von Volker Plagemann durchgeführt. Nächstes Jahr wird die Kunsthalle eine große Ausstellung zum Thema zeigen.
Schon der anachronistische Status als freie Stadt hat mittelalterliche Wurzeln, genau wie die Straßennamen Curienstraße oder Bäckerbreitergang. Die immerhin schon im 6. Jahrhundert nachweisbare Siedlung Hamburg war im Mittelalter die zweitwichtigste Stadt der Hanse nach Lübeck. Doch anders als dort ist die meiste Kunst aus dieser Zeit verschwunden. Diese Stadt hat gründlich aufgeräumt.
Zweimal wurde sie von Katastrophen getroffen: 1842 im Hamburger Brand, der größten zivilen Katastrophe im Deutschland des 19. Jahrhunderts, und dann durch die Bomben des zweiten Weltkriegs. Doch zweimal hat der Neuaufbau viele noch erhaltene Reste entfernt. Böses Schicksal traf sich mit ökonomischem Kalkül: Schon 1805 wurde nach Abzug der französischen Truppen das in bremischem Bistumsbesitz befindliche Domensemble mit seinem lästigen bremischen Freimarkt für baufällig erklärt und abgerissen. Die Ausstattung wurde verscheuert und das ungeliebte katholische Ding mehrfach gesprengt.
Weniger als ein Zehntel der 170 Althamburger Altäre sind erhalten. Ganz vergessen ist auch, daß die drei großen Granitquader auf dem Kinderspielplatz in St. Georg bis 1938 die Sockel einer Kreuzigungsgruppe mit fünf freiplastischen spätmittelalterlichen Bronzefiguren waren. Und die Altäre, selbst die der herausragenden Hamburger Meister Bertram und Meister Francke in der Kunsthalle, scheinen den meisten wenig mit der Stadt zu tun zu haben.
Nur drei der Hauptkirchen sind Zeugen mittelalterlicher Größe: St. Katharinen, St. Petri und St. Jacobi. Letztere ist für die Kunst besonders interessant: Nicht nur enthält sie den aus dem Mariendom stammenden Altar, neuerdings beherbergt sie auch eine Restaurierungswerkstatt. Dort werden zur Zeit die Überbleibsel des Hochaltars des ehemaligen Hamburger Doms wiederhergestellt. Die 16 Bildtafeln des Marienzyklus wurden einst zersägt und einem Kunstlehrer überlassen, später dem preußischen Königshaus geschenkt. Das stellte sie in der ostpreußischen Marienburg auf, und so gelangten sie nach 1945 in den Besitz des polnischen Nationalmuseums. Nach seiner Restaurierung wird dieser einst von Hamburg verschmähte und verstümmelte Altar das Hauptstück der geplanten Mittelalter-Ausstellung sein.
Literatur: Volker Plagemann: „Kunstgeschichte der Stadt Hamburg“, 426 Seiten, Junius Verlag, Hamburg, 58 Mark
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