■ Lucky Streik?: Nach der Party
Im letzten Jahr erlebte dieses Land die größte Studentendemonstration seit 1968. Eine Welle ungeahnter Solidarität schwappte sogleich über die protestierenden Studenten, die mit der Forderung nach einer grundlegenden Hochschulreform eine Zeitlang den Universitätsbetrieb lahmlegten. Als fühle man sich ertappt, bekundete plötzlich jeder Verständnis – vom Bildungsminister bis zum Bundeskanzler. Nur die 68er lachten sich ins Fäustchen: So zahm und brav werdet ihr nie etwas erreichen, lautete die Einschätzung der protesterfahrenen Generation.
Mit handfesten Straßenschlachten und Barrikaden gegen Polizisten konnten die Streikenden dem Bedürfnis nach Vergangenheitsverklärung tatsächlich nicht dienen. Sie zogen Aktionsformen vor, die kreativ die Probleme der Uniauf den Straßen transparent machen sollten: neben Demonstrationszügen waren es Vorlesungen in Fußgängerzonen, alternative Vorträge und Arbeitsgemeinschaften, mit denen die KommilitonInnen ein Kontrastprogramm zum eingefahrenen Unibetrieb präsentierten. Am Ende standen unzählige Forderungskataloge, Resolutionen und Alternativentwürfe zum Hochschulrahmengesetz. Die Medien haben das aber weitgehend ignoriert und sich lieber den öffentlichkeitswirksamen „Spaßaktionen“ zugewandt. Eine neue Love Parade: statt lauter Musik und Dr. Motte, Transparente und Trillerpfeifen. Mit dem kleinen Unterschied: außer Spaß gab's auch Forderungen – und die lauteten nicht nur: „mehr Geld und Bücher“. Die Kritik an der Streikbewegung läßt erahnen: Die Vorstellung über „das Politische“ in Deutschland erlaubt keinen Raum für Vergnügen. Politik „is not a cocktail party“, hieß es in der taz. Wer aber wollte ernsthaft bestreiten, daß auch auf einer Cocktailparty Politik betrieben wird? Vielleicht hat der Streik gelehrt, daß man sich von veralteten Politikbegriffen linker Aktionisten verabschieden muß, die in marxscher Diktion immer noch von der „Lahmlegung der Produktionsmittel“ träumen. Lahmgelegt wurde eine Institution, die Akademiker produziert – ohne daß sie irgend jemand zu brauchen scheint. Die Studenten haben einen Universitätsbetrieb, der längst nicht mehr mit den gesellschaftlichen Veränderungen Schritt hält, in seiner ganzen trägen Reaktionsarmut in Frage gestellt. Diese kreative Auszeit mit der Gelegenheit zur Diskussion über die herrschenden Zustände bildete fraglos ein politisches Anliegen. Die Brisanz des Protests wurde in den Medien jedoch mit einfachen Schlagworten schlicht übertüncht.
Zu früh wurden die Segel gestrichen. Noch bevor der Streik Konturen gewinnen konnte, war das Vergnügen an der Auszeit schon wieder vorüber. Ein Grund dafür ist sicherlich in der Unklarheit über die Ziele zu suchen. Reformen ja, aber wie und wofür wollen wir sie haben? Am Ende hat der 97er Streik das Bewußtsein dafür geschärft, wie dringlich und zugleich kompliziert die Krise der Hochschulen ist: Wer künftig die absurde doppelte Überlast an Studentenzahlen in Kauf nimmt, ohne Lehrmittel aufzustocken; wer Lehre und Forschung weiter strikt voneinander scheiden und gegeneinander ausspielen will; wer an den hierarchischen und undemokratischen Strukturen der Universität nicht rütteln mag; wer nicht bereit ist, über Studienzeitverkürzung nicht allein aus Wirtschaftseffizienz nachzudenken; und wer schließlich nicht daran interessiert ist, die Qualität des Bildungswesens nicht allein mit Geld, sondern durch Reformen grundlegend zu verbessern – der wird eine schwere Verantwortung auf sich nehmen. Es bekräftigte nur, daß die Uni im Kern verrottet ist. Devrim Karahasan
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