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Setzt sich Lafontaine nach Brüssel ab?

■ Die Bundesregierung soll in Paris angefragt haben, ob ein Deutscher Präsident der EU-Kommission werden kann. Nur wer? In der SPD wird zwei und zwei zusammengezählt: Lafontaine will nicht länger als nötig bei Schröder dienen

Bonn (taz) – Die Anzeichen verdichten sich, daß der SPD-Parteichef und Bundesfinanzminister Oskar Lafontaine EU- Kommissionspräsident werden will. Nach Informationen der Hamburger Wochenzeitung Die Zeit hat ein Mitglied der Bundesregierung vertraulich in Paris sondiert, wie Frankreich auf die Kandidatur eines Deutschen reagieren würde. Bundeskanzler Gerhard Schröder sei darüber informiert gewesen. Weder Lafontaine noch Schröder wollen den Vorgang kommentieren. Die Amtszeit des jetzigen Amtsinhabers Jacques Santer endet im Januar 2000. Nach Informationen der taz solle aber Lafontaine nicht als Kandidat für das Jahr 2000 benannt werden. Denkbar sei vielmehr ein Deal mit Santer. Der Belgier würde danach erneut gewählt, trete dann aber im Laufe der Amtszeit zugunsten von Lafontaine ab.

In der SPD kursieren schon seit Wochen Gerüchte, Lafontaine wolle nach Brüssel wechseln. Wie es heißt, wolle er nicht länger als nötig unter Bundeskanzler Schröder Minister bleiben. Lafontaine habe nicht verwunden, daß er nicht selbst Kanzler geworden sei. Als Indizien für den geplanten Wechsel werden angeführt, daß Lafontaine die Europaabteilung des Wirtschaftsministeriums an sich gerissen habe und bewußt alle europäischen Konferenzen wahrnehme. Das deute darauf hin, daß er sich für die Nachfolge Santers empfehlen wolle. Zudem, so führt die Nachrichtenagentur dpa an, nenne der frankophile Saarländer in auffälliger Weise immer wieder den ehemaligen französischen Kommissionspräsidenten Jacques Delors.

Die Aussagekraft dieser Indizien ist allerdings beschränkt. Es ist bekannt, daß Lafontaine Anhänger einer europäisch abgestimmten Finanz- und Abgabenpolitik ist. Schon seit Jahren setzt er sich für eine Harmonisierung der Steuern und Abgaben auf europäischer Ebene ein. Sein europäisches Engagement erklärt sich daher auch aus seinem Verständnis seiner Aufgaben als Finanzminister. Im Juni wird in Köln auf der Konferenz der Ratspräsidentschaft eine Vorentscheidung fallen. Schließlich wird es die Aufgabe der deutschen Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 1999 sein, ein neues Personalpaket für Europas Exekutive zu schnüren.

Deutschland hat den Posten des Kommissionspräsidenten erst einmal, 1958 bis 1967 mit Walter Hallstein, besetzt. Deutschland werden daher Chancen eingeräumt, den Posten des EU-Präsidenten zu besetzen. Santer strebt zwar offenbar eine weitere Amtszeit an, könnte aber als Christdemokrat im weitgehend sozialdemokratischen Europa auf Widerstand stoßen. Bisher gilt Romano Prodi, Chef der jüngst gestürzten Olivenbaum-Allianz in Italien, als aussichtsreichster Kandidat für Santers Nachfolge. Markus Franz

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