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„Wir müssen versuchen, so wenig Schaden wie möglich anzurichten“

■ Über Streitkultur und SPD-Strukturen, Atomausstieg und Arbeitsplätze, Schmerzen, Widerstand und ein 57-Prozent-Phänomen: GAL-Landesvorstandssprecherin Antje Radcke im taz-Interview über das erste rot-grüne Jahr in Hamburg

taz: Unauffällig, betulich, langweilig: Was verbinden Sie mit diesen Begriffen, Frau Radcke?

Antje Radcke: Bestimmt nicht die rot-grüne Koalition in Hamburg. Das tut nur CDU-Fraktionschef Ole von Beust, den Sie da ja zitieren.

Wir stimmen in diesem Punkt mit von Beust durchaus überein.

Da befindet sich die taz in der Gesellschaft anderer Medien, die beklagen, daß Rot-Grün zuwenig Streit produziere. Es ist aber nicht vorrangig Aufgabe einer Regierung, sich zu streiten, sondern gute Politik zu machen.

Bemühen wir einen Kronzeugen: Die Prämisse des früheren SPD-Bürgermeisters lautete ,keine Anti-Voscherau-Politik mit Henning Voscherau'. Nach einem Jahr Rot-Grün resümieren wir: Ohne Voscherau gibt's die auch nicht.

Das sehe ich anders. Wir haben an den jahrelang verfestigten Strukturen der SPD-Politik gekratzt. Es ist nicht mehr so, daß einer allein die SPD-Politik macht. Auch andere Teile der Partei melden sich zu Wort.

Auf welchen Politikfeldern hat die GAL am wenigsten bewirkt?

Das große Thema, bei dem die Grünen auch auf Bundesebene eine Niederlage einstecken mußten, ist die Flüchtlings- und Ausländerpolitik. Wir haben in den Hamburger Koalitionsvertrag zu diesem Thema nichts Bahnbrechendes reinschreiben können, und wir haben immer noch eine sehr restriktive Abschiebepolitik der Hamburger Ausländerbehörde. Das ist wirklich schmerzhaft und ein ständiger Kampf um minimale Fortschritte.

Zählen die Kürzungen im Bildungsbereich auch zu den Mißerfolgen der GAL?

Nein. Wir mußten das Konsolidierungsprogramm der SPD vor einem Jahr akzeptieren – sonst hätten wir die Koalitionsverhandlungen gleich abbrechen können. Unbestritten fehlt in Schulen und Kitas das Geld, aber woanders noch mehr zu sparen, wäre genauso dramatisch. Außerdem sind alle positiven Schritte im Schulbereich auf grüne Initiative zurückzuführen.

Bleibt dennoch die Frage, wo wie intelligent gespart wird?

Wir müssen versuchen, so wenig Schaden wie möglich anzurichten. Wir haben deshalb dafür gesorgt, daß die neuen Sparvorschläge der Schulbehörde breit diskutiert wurden. Das ist aber schwierig, weil die Lehrergewerkschaft GEW nicht verhandeln will.

Verhandelt wurde auch über den Atomausstieg. Ist der näher denn je?

Das sehe ich so. Wir haben nach den Gesprächen zwischen SPD und Grünen auf Bundesebene einen ganz klaren Fahrplan, und den werden wir auch von Hamburg aus begleiten.

Im Hamburger Koalitionsvertrag steht das Ziel, bis 2002 das AKW Brunsbüttel abzuschalten.

Im Vertrag steht, daß die Koalition sich um eine Verständigung mit den HEW bemühen wird, um den Gesellschaftervertrag zu kündigen. Ob wir das erreichen, wird sich herausstellen. Das Ziel ist, bis 2002 Kraftwerkskapazitäten stillzulegen. Da werden wir sehr bald Gespräche aufnehmen müssen.

GAL-Energiesprecher Lutz Jobs meinte kürzlich, wer mit Atomkonzernen über den Ausstieg verhandele, könne auch mit der Schlachterinnung die Einführung des Vegetarismus diskutieren.

Ich habe auch meine Zweifel, ob die geplanten einjährigen Konsensgespräche etwas bringen. Aber unser Ziel ist klar: der Atomausstieg.

Trotz der 40.000 Arbeitsplätze, die laut HEW-Chef Manfred Timm dann in Hamburg verlorengingen?

Wir schalten ja nicht alle AKWs auf einmal ab. Natürlich werden wir bei einem schrittweisen Ausstieg Alternativen für die Beschäftigten finden müssen.

Wir möchten jetzt mit Ihnen ein Rätselspielchen machen. Wir umschreiben mehrere Themen; wenn Sie die richtige Antwort wissen, dürfen sie kurz kommentieren.

Da bin ich ja gespannt.

Los geht es mit einem faulen Kompromiß aus dem Koalitionsvertrag, der dazu führt, daß gar nichts passiert.

(lacht): Ich fürchte, es gibt mehrere faule Kompromisse. Spontan fällt mir dazu so gar nichts ein...

Wir dachten an die Alternative Stadtbahn oder Flughafen-S-Bahn.

Priorität hat für uns die Stadtbahn. Die S-Bahn ist zu teuer und unwirtschaftlich, der Betriebshaushalt der Stadt darf nicht durch das Defizit belastet werden. Solange die S-Bahn in Konkurrenz zur Stadtbahn steht, lehnen wir sie ab.

Ein Phantom, auf dessen Nicht-Existenz die schweigende Mehrheit pfeiffert?

Pfeiffert?

Pfeiffert.

Bei Pfeiffer fällt mir Jugendkriminalität ein. Wenn man der Statistik folgt, ist da ein Zuwachs zu verzeichnen. Aber dem Problem kann man nicht mit härteren Strafen, Mauern und geschlossener Unterbringung begegnen.

Das große Sieb, durch das in Hamburg alles fällt, was nicht Investoren nutzt?

Das Haushaltsloch. Tatsächlich ist momentan jeder Arbeitsplatz ein guter Arbeitsplatz – leider oft unabhängig davon, wie langfristig er ist und in welchem Berufsfeld er entsteht.

Nächstes Thema: Einrichtungen, die zwar mehr geworden sind, aber an Stellen, an denen sich keine potentiellen Nutzer befinden?

Die Fixerstuben? Ich bin der Meinung, daß wir mit den Druckräumen dahin gehen müssen, wo die Nutzer sind.

Ein Loch, in dem der Naturschutz verbuddelt wird?

Das ist einfach: das Mühlenberger Loch. Da bleibt abzuwarten, ob die Linie, die die SPD gegen uns durchgesetzt hat, wirklich den Airbus A3XX nach Hamburg holt. Ich habe Zweifel.

Ein Problem, für dessen Beseitung die Koalition noch nichts getan hat?

Da fällt mir die Müllverbrennung ein.

Wir meinten die Arbeitslosigkeit.

Da sind die Möglichkeiten auf Länderebene beschränkt. Wir haben unter anderem im öffentlichen Dienst Teilzeit erleichtert, aber das reicht natürlich nicht.

Und zum Schluß was Positives: Ein rot-grüner Erfolg, der zustande kam, weil er nichts kostet?

Die Polizeikommission?

Nein, die kostet was.

Dann die Hamburger Ehe – ein wichtiges Signal, das von Hamburg ausgegangen ist.

Vier Richtige im ersten Versuch bei sieben Themen: Macht satte 57 Prozent – eine Marke, von der Grüne sonst nicht mal zu träumen wagen.

Wenn ich meiner Partei helfen kann, die Prozentpunkte durch Teilnahme an taz-Rätseln zu steigern, bin ich gern bereit, dafür zu trainieren.

Kommen wir zu zwei Sachthemen, die für Konflikte zwischen GAL und SPD sorgten. Zum Beispiel die Kritik, auch von Ihnen persönlich, an der Senkung der Mietobergrenzen für SozialhilfeempfängerInnen durch die Sozialbehörde.

Das führt dazu, daß Leute, denen es ohnehin schlecht geht, aus ihren Wohnungen vertrieben werden. Aber das Thema ist noch nicht abgeschlossen. Wir als GAL müssen da Widerstand organisieren, uns Verbündete suchen und die Sozialsenatorin und die SPD erneut damit konfrontieren. Es ist nie zu spät, eine solche Entscheidung zurückzunehmen.

Das hilft aber den Menschen nicht, denen jetzt von Sozialämtern Kürzungen und in der Konsequenz Obdachlosigkeit angedroht wird.

Es gibt eine breit gestreute Informationskampagne, die Betroffenen helfen soll, sich zu wehren. Ich hoffe, daß dadurch Härtefälle vermieden werden.

Nicht reparabel ist dagegen das Trauerspiel, das Rot-Grün beim Thema Volksgesetzgebung aufführte.

Wieso Trauerspiel? Wir hatten beim Volksentscheid keine Alternative, als mit der SPD einen Kompromiß hinzukriegen. Sonst wäre ein CDU-Vorschlag in die Volksgesetzgebung gegangen. Es gehört zur Politik, Kompromisse zu machen.

Der Vorschlag von „Mehr Demokratie“ hat bei der Volksabstimmung am 27. September aber deutlich mehr Stimmen bekommen als der rot-grüne Kompromiß. Warum wird nicht der Sieger-Entwurf umgesetzt?

Das hat unser Landesvorstand ja gefordert. Aber das macht die SPD nicht mit. Deren interne Streitigkeiten sind nicht zuletzt ein Problem des SPD-Fraktionsvorstands: Es war ziemlich deutlich, daß er es nicht schaffte, die Fraktion dazu zu bringen, am gemeinsam erarbeiteten Kompromiß festzuhalten. Insofern ist das nicht unser Patzer, sondern der der SPD. Sie hat anscheinend Panik, daß die Stadt ohne Abstimmungs-Hürden im Chaos versinkt.

Schauen wir mal in die Zukunft: Mittlerweile gibt es auch in Bonn eine rot-grüne Regierung. Wird jetzt in Hamburg alles besser?

Manches werden wir ganz direkt merken, beispielsweise beim Thema Drogen. In der Migrationspolitik wünsche ich mir, daß wir es in den verbleibenden drei Jahren dieser Legislaturperiode schaffen, ein anderes gesellschaftliches Klima im Umgang mit MigrantInnen herzustellen. Dabei ist der Rückenwind aus Bonn durch die Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft sehr wichtig.

Vieles andere wird indirekt wirken, etwa die Steuerreform.

Mit dem Unterschied, daß der Hamburger Senat nicht mehr auf Kohl und Waigel schimpfen kann, wenn etwas schief geht.

Das wird sicher eine Umstellung bedeuten. Aber dafür sind wir jetzt in der Regierungsverantwortung. Interview:

Sven-Michael Veit / Judith Weber

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