: Nichts geht mehr
Rund 8000 HamburgerInnen sind spielsüchtig. SuchtexpertInnen fordern die Anerkennung dieser Abhängigkeit durch Krankenkassen ■ Von Elke Spanner
Der Name „Glücksspiel“ führt in die Irre. Denn das Daddeln am „Einarmigen Banditen“ oder das Fiebern am Roulettetisch stürzt häufiger ins Unglück als ins Glück. Rund 8000 Menschen in der Hansestadt, so die Schätzung der Hamburgischen Landesstelle gegen Suchtgefahren, sind spielsüchtig. Die Folge seien enorme psychosoziale Probleme, erklärten gestern die TherapeutInnen des bundesweiten „Arbeitskreises Glücksspielsucht“, der in der Evangelischen Akademie seine Jahrestagung eröffnete.
Was die Weltgesundheitsorganisation (WHO) lapidar als „Störung der Impulskontrolle“ beschreibt, ist für die Psychologin Gisela Alberti von der „Alkoholfreien Selbsthilfe Hamburg“ ebenso eine Sucht wie der zwanghafte Konsum von Alkohol, Tabletten oder Heroin. Wie bei Junkies werde die Droge zum Lebensinhalt; Verarmung, Verschuldung, die Zerrüttung von Partnerschaften und Beschaffungskriminalität seien die Folgen. 16 Banküberfälle in 16 Monaten verübte etwa ein jüngst in Dresden verhafteter Mann – um seine Tage in der Spielhalle verbringen zu können.
Denn Spielen kostet viel Geld. „Es ist die vermutlich teuerste Sucht“, so Alberti. Die zunehmende Verbreitung des Glücksspiels, resümiert der Bremer Psychologe Gerhard Meyer in einer im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums erstellten Studie, führt deshalb zum Anstieg der Kriminalität.
In der Hansestadt haben sich SpielerInnen zu zehn Selbsthilfegruppen zusammengefunden – oft die einzige Unterstützung, die sie bekommen können. Da Glücksspiel nicht als Sucht anerkannt ist, werden sie bei Suchtberatungsstellen oft abgewiesen. Außerdem zahlen die Krankenkassen nicht für Therapien. So bleibt SpielerInnen zum professionell begleiteten Ausstieg nur eine kleine Trickserei, ein „Etikettenschwindel“, wie Alberti verrät: „Auf dem ärztlichen Attest muß ,alkoholkrank' stehen.“
Die rund 150 ExpertInnen forderten deshalb gestern die Anerkennung des „pathologischen Spielens“ als Sucht. Außerdem solle ein Teil des durch Glücksspiel erworbenen Geldes dazu verwandt werden, Abhängigen zu helfen – wie in Schleswig-Holstein. Dort verpflichtet ein Gesetz die Spielbanken, eine Abgabe für „gemeinnützige Zwecke“ und „Hilfeeinrichtungen für Spielsüchtige“ zu entrichten. Ein entsprechender Gesetzesvorschlag des „Arbeitskreises Glücksspielsucht“ liegt auch in Hamburg vor.
In der Öffentlichkeit ist das Thema kaum präsent. „Die Industrie stellt es so dar, als handle es sich um einzelne kranke Spieler, die mit dem großen Angebot nicht umgehen können“, sagt Meyer. Und der Staat verdient an Daddelhallen und Casinos eine Menge Geld. Sieben Milliarden Mark Vergnügungssteuern kassiert der Bund im Jahr; 30 Millionen nimmt die Stadt Hamburg ein.
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