: Heimatlieder in zwei Sälen
■ Joan Baez & John Denver: Sing-a-long-Revival mal zwei Von Jan Feddersen
Daß Joan Baez im Audimax auftritt, könnte leicht als Verbeugung vor studentenbewegten Zeiten aufgefaßt werden. Wer, wenn nicht sie, wäre berechtigt, im schmucklosesten Saal der Stadt um Sympathien zu buhlen? Eben die Frau, die wie keine sonst dafür sorgte, die Gitarre als genuines Musikinstrument des Protests zu verstehen – einfach, praktisch und gut, sozusagen rund um die Uhr unplugged.
Anfang der siebziger Jahre hatte sie in Europa ihre beste Zeit. Da fühlten alle gut gesinnten Menschen mit, wenn „Amazing Grace“ oder „We Shall Overcome“ erklangen. Joan Baez, das war fleischgewordene Gerechtigkeit, die in punc- to Glaubwürdigkeit und Sendungsbewußtsein später nur von Petra Kelly übertroffen werden sollte: eine Frau, die sich von ihrem Heimatland distanzierte („Das beste an Amerika ist noch die Erdnußbutter“), als dessen Truppen Vietnam in die Vorzivilisation zurückbombte, eine Sängerin, die deswegen nach Nordvietnam reiste, um so ihre Solidarität zu bekunden.
Dabei verstand sich Joan Baez, sagt sie heute, nie als Sängerin, sondern viel eher als Politikerin, die ihre Anliegen als Gefühl vortragen wollte. Deshalb war sie gerade während der sechziger Jahre das Objekt vom Gespött von Figuren wie Bob Dylan. Zwar war sie es, die seine Lieder popularisierte; ihm hingegen blieb es vorbehalten, sie erst als Geliebte, später als Kollegin zu denunzieren. Angelegentlich eines Aufenthalts Dylans in London, erinnert sich Marianne Faithfull („As Tears Goes By“) in ihrem wunderbaren Erinnerungsbuch, daß, während die gesamte Hipsterszene Londons um ihn, den Gott, herumsaß, Baez hinzukam, ein Lied anstimmte und Dylan mit einer Flasche in der Hand auf sie zutorkelte, um sie mit der Bemerkung anzuätzen: „Zersing sie!“
Faithfull wußte, was Baez nicht begreifen konnte: „Folk war einfach abgedroschen“ – und Dylan ein Mann, was damals noch ein fragloser Geschlechtszustand war. So muß man der Amerikanerin 25 Jahre später ein hohes Stehvermögen bescheinigen. Brian Jones tot, Faithfull nur knapp dem Sensenmann entkommen, Morrison erledigt, Hendrix ebenso, auch Janis Joplin. Gerade an sie erinnert sich Joan Baez besonders nett, obwohl die Frau aus ihrer Drogensucht sowohl einen Kult wie ein Marketingprinzip machte.
„In The Quiet Morning“ widmete Baez ihrer Kollegin: „Wir waren uns nicht nahe“, schreibt die Folksängerin, „aber ich mochte ihre Musik.“ Beim Newport-Festival 1968, wo beide auftraten, bat Baez die Joplin, sie doch mal zu besuchen, auf einen Tee beispielsweise. Joplin antwortete nur mit der typischen Verachtung der Hipsterin, die die solide Betschwester neben sich nicht erträgt, weil sie fürchtet, selbst wieder so zu werden: „Was?“ Baez bekannte offen, ob dieser Antwort sich wie eine Idiotin gefühlt zu haben: „Ich wußte eben nicht viel darüber, wild zu sein.“
Das bundesdeutsche Publikum verehrte sie aber noch bis weit in die siebziger Jahre hinein. Ihre Konzerte – stets ausverkauft. Ihre Lieder – Labsal in einer Zeit, als das Brandtsche Credo „Mehr Demokratie wagen“ längst durch den schneidigen Helmut Schmidt auch kulturell bedroht schien. Ihre Haltung – evangelisch bis zum Anschlag. Und genau dies verleidete sie dem Publikum seitdem.
Plötzlich empfand man ihre Stimme als blechern und penetrant, ihre Botschaften als naiv und ihre Musik als Zumutung. Sprüche wie jener, daß sie sich als junge Frau „verantwortlich gefühlt habe für die Traurigkeit der Welt“, empfand das yuppiesk gestimmte Volk als peinlich. Und der Zeichner Ralf König beispielsweise empfahl in einem Comic als Vergeltungsinstrument, entweder die Peitsche zu nehmen oder eine Joan-Baez-Platte aufzulegen.
Nun, die Dame hat wirklich kein gutes Image mehr. Umso überraschender ihre neue CD Ring Them Bells. Der Zusammenschnitt aus vier Livekonzerten in New York (Grapevine auf Arcade 9902281) zeigt – im Zusammenspiel mit Frauen wie Mary Chapin Carpenter oder Mary Black – eine Künstlerin, die sich im Gegensatz zu jenen verstorbenen Drugs'n'Melancholy-Schranzen wie Morrison oder Jop- lin durchgewurschtelt – und weiterentwickelt hat: stimmlich und künstlerisch vor allem.
„Ich denke jetzt mehr an Musik, die ich mag“, sagte sie in einem Interview. Immerhin singt sie weiterhin „The Night They Drive Old Dixie Down“ – was in der neuen Fassung viel besser klingt als ihre alte und sogar noch schöner als die Juliane-Werding-Coverversion, die als „Am Tag als Conny Kramer starb“ zum ehernen deutschen Kulturgut der Siebziger gehört. Baez hat diese Dekade hinter sich gelassen. Ganz lassen kann sie von Politik indes nicht, was ihr medienbegleiteter Auftritt in Sarajevo vor einigen Monaten bewies: „Ich kann mir nicht helfen, aber man kann doch nicht einfach die Augen schließen und alles hinnehmen.“
Über John Denver noch viele Worte zu verlieren, lohnt bei der Konkurrenz nur begrenzt. „Take Me Home Country Road“ heißt sein bekanntestes Lied. Der US-Amerikaner segelte kräftig mit im Folk- und Countryfahrwasser der Sechziger, ohne selbst allzu deutlich politisch Stellung zu nehmen – imagemäßig war er voll mit von der Partie, mit Nickelbrille, Gitarre, heiserem Timbre und sparsamen, um nicht zu sagen: ungelenken Gesten. Sein Publikum setzt sich so auch aus Menschen zusammen, die ein wenig Wehmut empfinden möchten, ohne allzusehr wissen zu wollen, warum. Denver rechnet nicht mit ausverkauften Hallen. „Ich singe für mich und meine Freunde. Das genügt.“ Man möchte es ihm glauben.
Beide Sonntag, 20 Uhr; John Denver : CCH; Joan Baez: Audimax
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