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Hätte John nur schlafen können!

■ Enttäuschend: Die Premiere von „Kryptogramm“ in den Hamburger Kammerspielen

Das Erstaunlichste vorweg: Alle Schauspieler kannten ihren Text tatsächlich von der ersten bis zur letzten Zeile auswendig. Nun ist Textkenntnis bei Theateraufführungen normalerweise eine Grundvoraussetzung, erwähnenswert nur, wenn sie fehlt. Aber bei dem Kryptogramm, das am Donnerstag in den Hamburger Kammerspielen Premiere hatte, liegt die Sache anders. Aus einem einfachen Grund: Einer der Schauspieler, Elias Truske nämlich, ist erst zehn Jahre alt. Und wenn sich so ein Knirps tapfer durch die Dialoge hangelt und darüber hinaus auch stets weiß, wann er sich wo auf der Bühne hinzustellen hat, dann ist es eben wirklich erstaunlich.

Aber ist es auch abendfüllend? Da sind Zeifel angebracht. Und doch hätte es abendfüllend sein müssen, um die Inszenierung noch rauszureißen. Denn außer den bemerkenswerten Textmemorierungsfertigkeiten des Jüngstschauspielers gibt es bei Dieter Giesings deutscher Erstaufführung von David Mamets Stück wenig zu sehen.

Der zehnjährige Elias Turske spielt den zehnjährigen Sohn John. Das Bühnenbild spielt angelsächsischen Konversationsstück-Bühnenrealismus. Und die Dialoge schwelgen in Andeutungen und umkreisen die Aussagen, die direkt auszusprechen sie vermeiden. So sagt Johns Mutter, nachdem sie eine Teekanne zerbrochen hat: „Es ist alles in Ordnung.“ Was dann für den Zuschauer – schließlich sind wir bei David Mamet – zu übersetzen ist mit: Nichts ist in Ordnung. Ansonsten pflegen sich die drei Personen des Stücks ständig mißzuverstehen. Immer wieder fragen sie nach: „Wie?“ „Was hast du gesagt?“ „Warum?“ Kurz: Es gehört für den Zuschauer schon einiger guter Wille dazu, sich nicht allzu deutlich auf die Themen des Abends gestubst zu fühlen. Es geht darum, daß nicht Verständnis und Anerkennung, sondern Lug und Trug zwischen den Menschen herrschen. Und das sogar zwischen Kindern und ihren eigenen Eltern!

Der kleine John kann nicht schlafen. Seine Mutter Donny ist überfordert. Sein Vater kommt nicht nach Hause, er hat seine Frau gerade verlassen. Und der Hausfreund Del würde sehr gerne mit Donny schlafen, traut sich aber nicht. Die familiäre Welt, sie ist bei Mamet aus den Fugen. In Dieter Giesings Inszenierung aber ist alles in bester Ordnung. Mal sitzt der Schauspieler Burghart Klaußner als Hausfreund auf dem Sofa und ringt mit sich und den Worten, mal lehnt Anne-Marie Kuster als Mutter an der Wand und blickt leer ins Weite – eine Inszenierung der kurzen Wege. Das falsche Leben, hier ist es in eine stets korrekte Schauspielerführung übersetzt. Heiles Theater über kaputte Sozialbeziehungen! Ach, hätte John nur schlafen können!

Dirk Knipphals

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