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Athen, am 17. November 1973

Ein zwiespältiges Datum der griechischen Geschichte. An diesem Tag wurde der Aufstand der Athener Studenten niedergeschlagen. Der einzige Versuch, der seit 1967 herrschenden Militärjunta offen entgegenzutreten, endete mit einer blutigen Niederlage.

Seit dem 14. November hatten 5.000 junge Menschen das Gelände der Technischen Hochschule im Zentrum von Athen besetzt. Radio Polytechnion rief zum Widerstand auf. Am Abend solidarisierten sich schon Tausende von außen, tags darauf war das Gelände umstellt.

Gegen ihre Angst sangen die Besetzer die Widerstandslieder von Theodorakis und Markopoulos, malten Transparente mit Beschwörungsformeln: „Wenn die Menschen keine Angst mehr haben, beginnen die Tyrannen zu zittern.“

Die Athener schienen tatsächlich ihre Angst zu verlieren. Die Präfektur von Attika wurde von Bauarbeitern besetzt. Mit jedem Tag wuchs die Zahl der Demonstranten. Die Diktatoren hatten Angst – so sehr sogar, daß sie ihren ganzen Machtapparat mobilisierten.

In den ersten Stunden des 17. November drückten die Panzer das Eisentor zum Polytechnion ein. Der Aufstand wurde zermalmt, über 50 Studenten bezahlten ihren Mut mit dem Leben. Die genaue Zahl der Opfer wurde nie ermittelt.

Acht Tage später wurde die Papadopoulos-Junta vom Chef der Militärpolizei abgesetzt. Dimitris Ioannides hieß der neue Diktator. Für ihn war die alte Junta am Aufstand schuld, weil sie kontrollierte Wahlen angesteuert hatte.

Die neue Junta bedeutete weitere acht Monate Repression. Sie stürzte erst im Sommer 1974, jedoch nicht durch einen Aufstand, sondern durch einen politischen Fehltritt – aus eigenem Verschulden.

Am 15. Juli ließ Ioannides in Zypern gegen die Regierung Makarios putschen. Es war die Einladung an Ankara, den Norden der Inselrepublik zu erobern. Fünf Tage nach der türkischen Invasion trat die Junta geräuschlos ab.

Für Griechenland war der Weg frei in die Demokratie – die Kosten der Befreiung hatte das geteilte Zypern zu tragen, bis heute.

Der Jahrestag des Juntaabtritts wird in Griechenland heute kaum mehr registriert. Der 17. November dagegen ist ein stolzer Feiertag, fast ohne Trauer. Die Politiker reden, als hätten die Studenten die Junta gestürzt. Von Zypern ist nie die Rede.

Lebenslügen – auch kollektive – sind dazu da, das Elixier der Wahrheit so zu dosieren, daß es gewissensverträglich ist. Nils Kadritzke

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