: Universitäten im Umbruch
■ Streitgespräch Student gegen Konrektor: Was bringt eine Privatuni in Grohn? Ist „In-ternationalisierung“ nur ein Schlagwort? Mehr Macht oder mehr Kontrolle für Profs?
Reformen wollen alle. Über den Weg hin zu einem besseren Hochschulsystem aber wird derzeit heftig gestritten. Bremen ist in einer besonderen Situation: In Grohn soll eine Privatuni gebaut werden; das zu erneuernde Bremische Hochschulgesetz (BreHG) wird eine Abkehr von den traditionellen Hochschul-Abschlüssen erlauben; gleichzeitig haben neu eingeführte Bewertungen von Profs und Fachbereichen hohe Erwartungen geweckt. Student Lars-Christian Wichert und Professor Wilfried Müller streiten sich in der taz, ob die Richtung der Reformen stimmt.
taz: Die Universität Bremen setzt auf eine enge Kooperation mit der geplanten Privatuni in Bremen–Grohn. Kann die Universität von einer Kooperation mit einer Eliteuni profitieren?
Wichert: Der Aufbau der Privatuni Grohn soll von Bremen finanziert werden. Das sind 300 Millionen Mark als Erstinvestition, weitere 60 Millionen Mark an laufenden Kosten. Ein Großteil des Geldes wird aus dem Wissenschaftshaushalt Bremens kommen, vor allem die laufenden Kosten und die Stipendienprogramme. Diese Gelder werden hier an der Uni fehlen.
Müller: Die Große Koalition hat beschlossen, in Bremen-Nord wegen des Vulkan-Zusammenbruchs eine neue wissenschaftliche Infrastruktur aufzubauen. Die Gelder für Grohn, 230 Millionen für die nächsten fünf bis sechs Jahre, waren zu keinem Zeitpunkt für unsere Universität vorgesehen. 70 Millionen Mark sind für die Modernisierung der Hochschule in der Neustadt reserviert. Von den 230 Millionen Mark kommt mehr als die Hälfte vom Wissenschaftsressort, der Rest kommt vom Wirtschaftsressort. Die Universität hat die Zusage, daß der Etat der Uni durch die Privatuni bis zum Jahr 2004 nicht reduziert wird.
So eine Zusage hat Anfang der 90er Jahre der Berliner Wissenschaftssenator auch gemacht. Kein Mensch hat sich daran gehalten.
Müller: In Berlin besteht aber eine dramatische finanzielle Situation, das ist in Bremen mit dem Investitions-Sonderprogramm anders.
Wichert: Die Situation in Bremen ist auch dramatisch. Das Geld wird hier fehlen. Selbst Wissenschaftssenatorin Bringfriede Kahrs geht nicht davon aus, daß die Privatuni sich auf Dauer alleine tragen kann. Ganz abgesehen davon, daß die notwendigen Sponsorengelder bisher nicht in Sicht sind.
Müller: Die Gefahr besteht, daß das Gründungskapital nicht vollständig zusammen kommt oder das die Anzahl der Studierenden nicht ausreicht – diese Risiken sehe ich. Ich finde aber, daß enorme Chancen für Forschung und Lehre mit dem Projekt in Grohn verbunden sind: Die Uni bekommt einen hochattraktiven Kooperationspartner, mit dem Teile konkurrieren werden. Der rationale Egoist kann nur für diese Kooperation sein.
Wichert: Es ist logisch, daß die Uni mit Grohn kooperiert, wenn sie schon gebaut wird. Aber an dem Privatuni-Konzept gibt es eine Menge auszusetzen: Grohn wird für eine Elite und nicht für alle Studierenden gebaut; Studiengebühren sollen erhoben werden; weitere Zulassungsprüfungen sollen gemacht werden, die das Abitur nicht werten.
Müller: Das ist eben eine internationale Universität mit anderen Standards. An Studierende und Forschung werden höchste Anforderungen gestellt werden. Warum soll der Standort Bremen nicht einen Teil des weltweit florierenden Marktes „international studierender Studenten“ abbekommen?
Die ersten DozentInnen der Privatuni werden sich voraussichtlich aus der Uni Bremen rekrutieren. Brain-Drain nach Grohn?
Müller: Die Internationale Universität wird weltweit das Personal heranholen.
Wichert: Oder wird man vielleicht doch danach suchen, was man billig von der Uni Bremen abwerben kann? Beispiel Göttingen: Eine Privathochschule für Informatiker hat acht Professoren abgeworben, die jetzt Lehraufträge haben. Auch an vielen Instituten in Baden-Württemberg ist ein solches Vorgehen weitverbreitete Praxis.
Müller: Aber Grohn braucht mindestens 120 Leute. Ihre Rechnung geht doch nicht auf.
Wichert: Der Grohn-Partner Rice University aus Texas hat noch keine Finanzierungszusage gemacht.
Müller: Es gibt in Deutschland bislang keine andere internationale Universität, die einen so starken und attraktiven Partner wie die Rice-University gefunden hat. Und wenn das Management der Rice University sich hier reinhängt, dann kann es sich eine Niederlage nicht erlauben.
Was ändert sich denn für die Studierenden durch Grohn?
Wichert: Wir haben nichts dagegen, wenn uns jemand vormacht, wie gute Lehre aussehen könnte. Die Meisten werden sich die Studiengebühren von 13.000 Mark im Semester nicht leisten können. Die Stipendien werden vermutlich der jeweiligen Haushaltslage angepaßt, wie beim BAFöG. Das Nach-Vorne-Marschieren sieht aus der Sicht des Rektorats immer sehr einfach aus. Viele Studierende haben Angst, unter die Räder zu kommen.
Müller: Das Wissenschaftssystem wird in Bremen in nächster Zeit unter starken Konkurrenzdruck geraten. Wenn wir die Rice University nicht als Partner gewinnen, könnte das Bremer Wissenschaftssystem unter die Räder kommen.
Ein anderes Thema ist derzeit die Einführung von Master (MA) und Bachelor (BA)-Abschlüssen. Was für Vorteile verspricht sich die Uni von der Einführung?
Müller: Mit den neuen Abschlüssen wird es bessere Möglichkeiten geben, im Ausland zu studieren, ausländischen KomilitonInnen wird es einfacher gemacht, hier zu studieren. Der BA sollte aber nur im Ausnahmefall an der Universität eingeführt werden.
In Niedersachsen aber ist die flächendeckende Einführung gerade beschlossen worden.
Müller: Es gibt demnächst rechtlich die Möglichkeit, diesen Studienabschluß einzuführen, aber wir sind nicht verpflichtet, das zu tun.
Sie können keinen Alleingang mehr machen, wenn in kooperierenden niedersächsischen Universitäten wie Oldenburg diese Abschlüsse eingeführt werden.
Wichert: Da müssen Sie schon realistisch sein, daß der Druck aus der Politik groß sein wird.
Müller: Ich garantiere, daß nur wenige niedersächsische Hochschulen bereit sein werden, darüber verbindlich nachzudenken – die können das doch gar nicht bezahlen.
Wichert: Internationalisierung kann nicht nur BA und MA bedeuten – so weit stimmen wir beide überein. Aber unter dem Vorwand der Internationalisierung sollen deutliche Verschlechterungen für Studierende eingeführt werden.
Müller: Welche denn?
Wichert: Für deutsche Studierende würde die Einführung von BA oder MA deutliche Verschlechterungen in der BAFöG-Förderung bedeuten, denn es wäre der erste berufsqualifizierende Abschluß. Danach wird man nicht mehr gefördert, nach dem 5. Semester wäre Schluß.
Müller: Sie haben Recht, auch ich warne derzeit vor dem BA, weil er vermutlich negative Konsequenzen für die BAFöG-Förderungen hätte.
Wichert: Es gibt weitere Gründe, warum ausländische Studierende nicht mehr herkommen – Arbeitsgenehmigungen, Aufenthaltsgenehmigungen, Finanzierung des Studiums sind schwer zu bekommen.
Müller: Das ist besser geworden ...
Wichert: ... aber immer noch schlecht. Warum benennen Sie das deutsche Diplom nicht einfach in MA um? Das ist doch auch von den Studienzeiten her einfach möglich. Für die Anerkennung im Ausland würde das genügen. Problematisch ist, daß das Schnellstudium, der einjährige BA, zur Regel werden soll.
Müller: Wer sagt denn das?
Wichert: Niedersachsen, zum Beispiel.
Müller: Aber wir reden doch über Bremen, über unsere Universität.
Im neuen BreHG wird aber genau diese Möglichkeit eröffnet.
Müller: Sie erschießen einen Pappkameraden. Das eigentliche Ziel der Internationalisierung wird von Ihnen nicht ernst genommen. Nämlich: Was müssen wir tun, um unsere deutsche Eigenbrödlerei aufzuheben? Warum fühlen wir uns so wahnsinnig wohl in diesem System? Eine große Koalition aus Professoren und Studierenden ist Anhänger des Modells Deutschland.
Was spricht dagegen, Magister und Diplom durch BA und MA zu ersetzen?
Müller: Man kann nationale curriculare Kulturen nicht so einfach verändern. Der Abschluß „Diplom“ hat in Deutschland einen berechtigt hohen Stellenwert. Wenn wir zwei Abschlußarten hätten, bräuchten wir auch unterschiedliche Studieninhalte. Wenn wir den MA einführen, um ausländische Studierende nach Deutschland zu holen, müssen wir uns am Aufbau der Studiengänge im Ausland orientieren, die zum Beispiel unübliche Fächerkombinationen wie Biologie mit Chemie zulassen.
Wichert: Aber warum dann nicht gleich für alle Studierende?
Müller: Meine Linie ist eine Internationalisierung von Diplom und Magister-Studiengängen, damit alle Studierende etwas davon haben. Ich glaube auch, daß das an der Uni akzeptiert werden wird. In ganz bestimmten Bereichen aber soll ein Fenster zur Welt geschaffen werden. Dafür sind die Masterstudiengänge gedacht.
Kommen wir zu einem weiteren heißen Eisen in der Uni: Was könnte eine Evaluation von Studiengängen und Professoren zu einer Demokratisierung der Uni beitragen? Mehr Kontrolle durch Leistungsbewertung?
Müller: In gewisser Hinsich ja. Aber der entscheidende Punkt ist: Wir machen das in Bremen anders als anderswo. Die Universitäten in Bremen, Hamburg, Rostock, Kiel und Oldenburg haben sich zu einem Evaluationsverbund zusammengeschlossen. Die Idee ist, daß Fachvertreter anderer Unis einzelne Fachbereiche bewerten. Ein Endbericht geht an die Hochschulleitung und an den Fachbereich.
Wichert: Und was passiert dann?
Müller: Dann verhandelt die Uni-Leitung mit den Fachbereichen, in welcher Zeit sie welche Veränderungen vornehmen. Jeder bislang evaluierte Studiengang hat von der Evaluation profitiert.
Wichert: Das liegt aber auch daran, daß in einigen Fachbereichen zum ersten Mal darüber nachgedacht wurde, wie ein Studiengang aufgebaut ist.
Müller: Ja, das stimmt vielleicht. Wir haben die Freigabe von Stellen vorgezogen, wir haben Zusagen gemacht für Studienbüros und mehr Studienberatung, wir fördern bestimmte Projekte. Und im Gegenzug verpflichten sich die Fachbereiche, Veränderungen durchzuführen.
Aber ist eine Evaluierung nicht umso besser, je öffentlicher sie durchgeführt wird?
Müller: Man muß unterscheiden zwischen der Bewertung eines Profs und eines ganzen Fachbereiches. Bei einem Fachbereich befürchten alle Beteiligten, der Staat könne daraus Konsequenzen ziehen. Wenn die Bewertungs-Kommissionen ohne Öffentlichkeit wirklich hart zur Sache gehen können, ist die Chance auf Veränderung natürlich größer, als wenn sie ihre Kritik zwar öffentlich, aber dafür sehr vage formulieren müssen.
Wichert: Sie reden von Evaluationen von Fachbereichen, aber uns geht es ja auch um die Evaluation von Lehrveranstaltungen. Da reicht es nicht, dem Prof mehr oder weniger Geld zu geben. Da muß auch mal gesagt werden: So geht es nicht weiter. Beispiel Hochschule Bremen: Dort werden die Evaluationen als Verschlußsache behandelt. Die Profs bekommen die ausgefüllten Fragebögen zugestellt, die Studierenden haben kein Recht auf Einsicht. Die Uni braucht qualifizierte Angebote, wo Lehrende ihre Didaktik verbessern können.
Müller: Das gilt nicht für die Universität Bremen.
Den Professoren soll nach Vorstellung von SPD und CDU mehr Macht in den Gremien gegeben werden. Können die sich dann nicht einer Bewertung noch leichter widersetzen, als es derzeit schon der Fall ist?
Müller: Auch ich empfinde einen Widerspruch zwischen einem sinnvollen Maß an Mitbestimmung und der Notwendigkeit, einen Fachbereich professionell zu führen. Fachbereiche stehen insgesamt besser da, wenn sie lange von einer qualifizierten Person geführt werden. Ich bin für die Stärkung der Dekane.
Lars-Christian, da müßte jetzt von Dir heftiger Widerspruch kommen?
Wichert: Einige Fachbereiche haben eine professionelle Verwaltung bitter nötig. Aber das wird nicht dadurch verbessert, daß die Dekane gestärkt werden: Da wo es gut läuft, haben sich die Fachbereichssprecher mit ihrer Kompetenz durchgesetzt. Die Macht der Professoren darf nicht zu Lasten der Studierenden weiter ausgebaut werden.
Müller: Kaum ein Professor macht die Gremienarbeit gerne. Nach zwei Jahren wird abgezählt, wer noch nicht Fachbereichssprecher war. Diese Arbeit muß interessanter gemacht werden, wir brauchen mehr Profis mit Weitblick.
Wichert: Profis haben wir aber doch an der Uni mehr als genug. Die hatten auch Entscheidungsmöglichkeiten. Was dabei herauskam, war nicht besonders erfrischend.
Nutzen denn Studierende ihre Mitspracherechte auch aus?
Müller: Die Idee der Selbstverwaltung wird immer wieder hochgehalten, aber im Alltag gibt es diese Faszination und Begeisterung nicht.
Wichert: Lohnt es sich denn, für die Studierenden, sich an der Gremienarbeit zu beteiligen? Mehr als eine Kontrollfunktion haben die zwei Studis im Fachbereichsrat doch nicht. 60 Prozent der Studierenden müssen neben dem Studium arbeiten. Eine angemessene Entschädigung würde es einfacher machen, Leute zu finden.
Müller: Ich könnte mir vorstellen, daß studentisches Engagement in Gremien mit einer besonderen Fort- oder Ausbildung belohnt wird. Das wäre doch eine gute Idee.
Moderation: Christoph Dowe
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