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Seltsamer Alltag

■ Filmskizzen eines Flaneurs: Vivian Ostrovskys Notizen aus aller Welt im Arsenal

Früher, ich erinnere mich jedenfalls, gab es singende Ansichtskarten. In das touristische Sehnsuchtsmotiv auf der Vorderseite waren Rillen gepreßt, und legte man etwa das Colosseum auf den Plattenteller, ertönte der passende italienische Schlager dazu. Im Zeitalter des CD-Players gehören derlei schöne Dinge naturgemäß der Vergangenheit an.

Die sieben kurzen Filme, die die Blickpilotin e.V. mit Unterstützung des Institut Français heute abend im Kino Arsenal zeigt, erscheinen ein wenig wie die erweiterte, experimentelle Super-8-Abart der singenden Ansichtskarte. Sie stammen von Vivian Ostrovsky, einer geborenen Globetrotterin. Schließlich kam sie als Tochter russischer und tschechischer Eltern in New York zur Welt, ging in Rio de Janeiro zur Schule und studierte anschließend an der Sorbonne in Paris. Dort gründete sie in den siebziger Jahren den feministischen Filmverleih Ciné- Femmes, und von dort aus bereist sie seit fünfzehn Jahren die Welt.

Von diesen Reisen bringt sie kleine Filme mit, bei denen neben der raffinierten Bildmontage vor allem die Tonspur mit einer launischen Klang- und Musikcollage besticht. Eigentlich möchte man ihre minimal movies als Musikfilme der ganz exquisiten Art bezeichnen. „Public Domain“ heißt ein dreizehn Minuten langer Film von 1996, der Hundefreunde beim Gassigehen zeigt und Schäferhunde, die als Beifahrer auf einem Motorrad thronen oder alte Damen, die im Freibad Kopfsprung üben. „Public Domain“ könnten alle ihre Filme heißen, denn Ostrovsky beschränkt sich in ihren Reisenotaten tatsächlich auf den öffentlichen Raum und die Menschen, die dort erstaunlicherweise die seltsamsten Dinge tun.

Doch was heißt: die seltsamsten Dinge? Genau besehen tun sie dort meist ganz gewöhnliche Dinge. Sie sitzen unter Bäumen und stricken, sie spielen Boule oder treiben in öffentlichen Parks Gymnastik. Als ebenso komisch wie auch poetisch entdeckt Ostrovsky die Bewegungen und Handlungen der Menschen im öffentlichen Raum, indem sie – wie bei „Copacabana Beach“ 1983 – die realen Bewegungsabläufe beschleunigt. Plötzlich existiert da ein Gewusel von Joggern und Passanten, läuft ein Bild überbordenden Lebens ab, das in seiner filmischen De- und Rekonstruktion gleichermaßen lustig wie lustvoll wirkt.

Und das ist in Moskau, Kioto, Mailand, Manhattan oder wo immer Ostrovsky filmt nicht anders. Da scheinen sogar die Lichter von Rio oder New York in der Nacht bunt zu blinken, obwohl „Movie (V.O.)“ von 1982 ein Schwarzweißfilm ist. „Liebenswerter als die kinematographischen kleinen Polemiken der Vivian Ostrovsky kann der Avantgardefilm nicht klingen“, schrieb die österrreichische Presse. Dem ist nichts hinzuzufügen, es sei denn, daß er auch nicht hinreißender aussehen kann. Brigitte Werneburg

Heute abend ab 21 Uhr, Arsenal, Welserstr. 25

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