piwik no script img

Grunge mit Wolga-Sprengseln

Den Rock nicht neu erfinden, aber...! Die Musik von Blowtorch aus Berlin klingt so, als würde ein weißrusssischer Dschingis Khan mit einem selbstgebauten Röhrenradioverstärker Nirvana nachspielen. Ein Porträt  ■ Von Jenni Zylka

„Blowtorch rockt!“ steht so simpel wie großspurig auf dem Flyer. Sollte man einfach so glauben, daß eine klassische Drei-Mann-Band – Gitarre, Bass, Schlagzeug also – im Jahre 30 nach der Hochzeit für klassische Drei-Mann-Bands noch etwas reißen kann? Das irgend jemand noch „Alternative Punk“ oder Rock oder was weiß ich hören möchte? Die Blowtorch-Herren selber behaupten natürlich wie immer, sie machten „was Eigenes“, obwohl sich überraschend pragmatische Sätze wie „Wir haben den Rock bestimmt nicht neu erfunden“ ins Gespräch einschleichen.

Und darum geht es nämlich auch: Sie haben den Rock nicht neu erfunden, aber... Aber!!! Ob es an Steve „the machine“ liegt, der schon seit Jahren 33 ist und sich noch länger durch die Berliner Off- und Gerade-noch-off-Szene trommelt, der schnell plus präzise plus laut den typischen, guten Schlagzeuger verkörpert, samt Hörproblemen und körperlicher Präsenz? Steve ertrommelt eine fette, altmodisch volle Beat-Basis in der Band, unterstützt von Andi Grandmaier, dem Bassisten, der alt genug ist, um den ganzen Übungsraum-plus- Schweiß-plus-richtige-Gelegenheit-plus-Talent-ergibt-trotzdem- nicht-immer-Erfolg-Quatsch zu kennen, aber jung genug, es zu versuchen und daran zu glauben. Was bei Blowtorch aber auffällt, was den Charme der Melodien und ihrer Live-Auftritte ausmacht, das ist Sänger und Gitarrist Nikolai Tarassov. Der ist vor drei Jahren aus Kirgisien eingereist, und in seinem Visum steht „Musiker“, sonst dürfte er nämlich nicht in Deutschland rocken, wohnen und touren. Und in Kirgisien scheinen die Uhren anders zu gehen. Der gerade mal 28jährige war zu Hause schon Sportlehrer, Schwimmer, sowjetischer Juniorenmeister im modernen Fünfkampf und will auch noch in der Musik ein Wörtchen mitreden.

Er schreibt die Texte in englisch, denn „die besten Opern sind in italienisch, weil es die perfekte Opernsprache ist, und Englisch ist eben die perfekte Rock 'n' Roll- Sprache...“ Russische Refrains gibt es trotzdem, aber vor allem dem Arrangement und den Melodien merkt man die Herkunft des Gitarristen an. „Kirgisien sieht aus wie die Schweiz“, behauptet Nikolai zwar, der aus der Hauptstadt Bischek stammt und – sind wirklich alle Russen so? – in kürzester Zeit literweise Hefeweizen zum Frühstück kippen kann. War bestimmt ein großer Spaß mit den Jungs im Fünfkampf-Trainingslager. Trotzdem hat angeblich Nikolais Weigerung, Anabolika einzunehmen, seiner Karriere als Olympionike ein Ende gesetzt.

Der Nähe Kirgisiens zur Mongolei und China ist es vielleicht zu verdanken, daß den Melodien und Akkordfolgen, die Nikolai auf der Gitarre shreddert, teilweise exotische Einflüsse innewohnen: ein bißchen wie ein weißrussischer Dschingis Khan, der über einen selbstgebauten Röhrenradioverstärker das nachspielt, was er von Deep Purple und Nirvana so mitbekommen hat über die reingeschmuggelten Platten.

Auf ihrer bisher noch unveröffentlichten CD klingen sie noch zu glatt, zu beliebig, russischen Arrangements haftet eben schnell etwas Kitschiges an, das der Band glücklicherweise live abgeht. Da bleibt der Einfluß der weiten, tieftraurigen russischen Seele auf erkennbare Wolga-Rhythmus- Strukturen hinter dem Krach beschränkt.

Seit zwei Jahren zappen Blowtorch sich in ihren Songs gerne und meist auch gelungen zwischen Ska- und Rumbatakten, Balladen und Backgroundgesang-Harmonien zu einem Programm vor, das abwechslungsreich genug ist, um abendfüllend zu sein. Jedenfalls, wenn man genug vom Mädchengezirpel in den Charts, von austauschbaren Rap-Selbstdarstellern und vom Problemdiskutierniveau der sonstigen deutschen Schule hat.

Heute um 0 Uhr im Café Swing am Nollendorfplatz. Am 19.11. im Waschhaus Potsdam (+ Terrorgruppe). Am 5.12. im SO36 (+ Turbo Negro)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen