Videographische Verdauungsstörungen

■ Die Welt hinter den Gesprächs- und Rate-Shows: Der Dokumentarist Harun Farocki hat „Worte und Spiele“ mitleidlos abgefilmt (0.20 Uhr, N3)

Daily Talk- und Daily Quizshows sind der letzte Dreck. Das ist nichts Neues – und die Behauptung letztlich genauso originell, wie Talk und Quiz genial zu finden. Ein paar Millionen Menschen schalten täglich ein, ein paar Millionen nicht. Und ein paar hundert sorgen dafür, daß im deutschen Fernsehen von Montag bis Freitag 25 Stunden – 1.142 Minuten Talk und 365 Minuten Quiz (inkl. Werbung und Wiederholung) – genialer Dreck ausgestrahlt und (nicht) angeschaut werden können.

Gearbeitet wird für die heimischen elf Gesprächs- und fünf Rate-Shows in den Produktionsstätten Tag für Tag um ein Vielfaches länger. Schließlich gibt es viel zu tun: Themen ausdenken, Gäste akquirieren, Vorgespräche führen, konferieren, Texte schreiben, ablästern und rumhängen, den Gästen wieder und wieder ihre eigenen Geschichten eintrichtern, die Kandidaten bei Laune halten, ab und an eine Sendung aufzeichnen, bangen, mobben, noch eine Sendung aufzeichnen, Sendungen nachbesprechen und -bearbeiten...

Im fahlen Licht einer Videokamera steht den Talk- und Quizarbeitern die Verstopfung in großen Lettern auf die Stirn geschrieben. Die Videokamera hat der Dokumentarist Harun Farocki aufgestellt, in Potsdam-Babelsberg, Köln-Hürth und München-Unterföhring, mitten in die Konferenz- und Ruheräume, vor und hinter die Studiokulissen von „Vera am Mittag“, „Familienduell“ und „Arabella“.

Und warum? Was gäbe es da denn noch, was wir nicht längst schon wüßten übers Trash-TV? Etwa, daß die „Überraschungen“ geprobt, die „Emotionen“ inszeniert sind, die „Moderatoren“ nur Berufstätige und die „Redaktionen“ bloß ein Rudel Fulltime- Quereinsteiger, die ihre Heuchelei und eitle Einfallslosigkeit („Ich liebe diesen Job“) für modischen Zynismus halten? Und daß die „Gäste“ selber schuld sind, wenn sich Vera Int Veen zu ihnen setzt und sagt: „Is' nur Fernsehen, wichtig seid ihr, es ist eure Sendung“? – Das alles weiß man schließlich auch ohne Farocki.

Doch in „Worte und Spiele“ sieht man's. Farocki mimt den stillen Beobachter, der auf eingesprochene Kommentare, Interviews, Dramaturgie und all das verzichtet, was den Zuschauer gemeinhin bei der Hand nimmt. Nur manchmal drängt sich ein wenig Klaviergeklimper über die Gesprächsmitschnitte oder in die Stille.

Dennoch wird hier alles andere als bloß „beobachtet“. Wer, wie Farocki, einfach nur draufhält, dreieinhalb Minuten (!) draufhält auf die Vera am Mittag, während ihre Gäste sich irgendwo außerhalb des Bildes in Rage reden; wer ihre An- und Abmoderationen („...das meint auch mein nächster Gast. Ihr Freund leider nicht. Warum nicht, darüber reden wir gleich. PAUSE“) tonlos vom Teleprompter abfilmt; wer die Kamera weiterlaufen läßt, nachdem Werner Schulze-Erdel mal wieder ein Familienduell hinter sich gebracht hat („Tja, so kann man Geld verschenken!“), und abschaltet, wenn die Arabella-Aufzeichnung anfängt – so jemand hat anderes im Sinn als Kommentarlosigkeit; so jemand hat kein Mitleid, nirgends.

Warum das so ist, erfährt der Zuschauer – vielleicht – im Abspann des Farocki-Films. „Musik: Markus Spies“ steht dort. Und weiter: „nach Johannes Brahms – Opus 121 ,Denn es gehet dem Menschen wie dem Vieh‘“. Christoph Schultheis