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Wieviel Mensch ist noch im Bild?

■ Eine Performance, ein Spielfilm und eine Fotoausstellung der niederländischen Medien-Magiere Paul und Menno de Nooijer

Zwei Männer im Film, die sich vor einer Strandlandschaft ausziehen, mit Farbe beschmieren, Obst essen usw. Nichts besonderes also? Zwei Filme treffen hier aufeinander: Die Landschaft wird von einem Projektor von hinten auf die Leinwand geworfen, die beiden Männer projiziert eine zweite Maschine von vorne – das ist schon etwas komplizierter! Aber den zweiten Film sieht das Publikum nicht auf der Leinwand, sondern auf den real im Kino anwesenden Körpern der beiden Hauptdarsteller.

Sie stehen in weißer Kleidung, mit weiß geschminktem Nacken und mit einer weißen Gummihaube vor der Leinwand, sodaß ihre gefilmten Vorderansichten fast genau passend auf ihre „live präsentierten“ Rückenansichten projiziert werden. Die realen Menschen verschwinden so fast gänzlich unter ihren Bildern. Sie sind nur noch Schemen, die dem Film eine irritierend-dreidimensionale Wirkung geben. Da ist mehr Mensch zu sehen, als nur sein Bild.

Solche Grenzgänge wie in dieser am Samstag abend im Kino 46 gezeigten Performance sind der Kern aller Kunstwerke von Paul und Menno De Nooijer. Sie arbeiten immer an den Übergängen zwischen Fotografie und Film, Abbild und Realität, Objekt und Subjekt. Paul de Nooijer hat zum Beispiel seinen Sohn Menno von dessen frühester Jugend an als Darsteller für seine Fotografien und Kurzfilme benutzt. Aber irgendwann gab es die Grenzüberschreitung – heute ist Menno als gleichberechtigter Künstler an der Produktion beteiligt. Wann sonst hat sich in der Kunstgeschichte ein Modell so emanzipieren können?

Noch ein Beispiel: In ihrem ersten Spielfilm „Exit“ sieht man Paul nur in einem blauen Kastenraum, der kleine Guckfenster hat. Paul öffnet sie, um darin Szenen aus seiner Erinnerung zu finden. Der Raum symbolisiert zugleich das Gehirn, die Kamera, eine Blue Box und eine Peep-Show. Nach dem Film verließ das Publikum das Kino durch einen besonderen Ausgang und mußte zwangsläufig durch genau diese blaue Kammer hindurchgehen, die anläßlich der Ausstellung in Bremen aufgebaut wurde.

So stellen Paul und Menno De Nooijer in all ihren Werken die Konventionen der Wahrnehmung in Frage. Diese Irritationen haben schon die seltsamsten Früchte getragen: So haben die beiden auf einem Festival in San Francisco für einen Kurzfilm den Preis für die besten Computeranimation bekommen, und dies, obwohl sie noch nie mit einem Computer gearbeitet hatten. Denn die beiden sind begnadete Bastler. All ihren Werken sieht man an, wie lange, wie genau und mit was für einer Bessenheit die beiden noch an den kleinsten Details herumtüfteln. In einer Foto-Folge der Ausstellung sieht man zum Beispiel eine große Pyramide aus Sand, die einen Raum fast völlig ausfüllt. Auf dem nächsten Foto sieht man genau die gleiche Pyramide – gleich ausgeleuchtet, mit der gleichen Textur, der gleichen Aura, nur jetzt steht sie ganz klein auf einem Tisch. Mit einem fast kindlichen Mutwillen wollen die De Nooijers ihr Publikum reinlegen. Optische Täuschungen liegen fast allen ihren Werken zugrunde. Dazu kommt ein extrem trockener Humor, sodaß man bei ihnen eigentlich ständig überrascht und amüsiert wird. In „Exit“ ist ihnen auch eine Sahnetorte nicht für einen Lacher zu schade, aber in einem wirklich schockierenden Moment glaubt man auch einige Sekunden lang, gesehen zu haben, wie eine nackte Frau mit einem Hammer kaputtgeschlagen wird. Natürlich alles nur Trick, aber so makaber und alptraumhaft schön, daß der Vergleich mit Bunuel hier nicht zu hoch gegriffen ist.

Wilfried Hippen

Die Ausstellung mit Fotos und der blauen Kammer ist im Kino 46 zu bewundern.

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