Achterbahnfahren mit Saddam

■ Die US-Bomber waren angeblich schon unterwegs, da lenkte Saddam Hussein in letzter Sekunde ein: mit einem Brief an UN-Generalsekretär Kofi Annan. Der Angriff wurde gestoppt, aber für die USA ist die Irak-Krise nicht ausgestanden.

In der „Stadt der Spiele“ steht die Achterbahn. Das Eisengerüst im Bagdader Vergnügungspark sieht beängstigend aus, unaufhaltsam hat sich in den nun fast acht Jahre währenden Sanktionen der Rost festgesetzt. Eigentlich traue er auch dem Riesenrad nicht, seit die Ersatzteile nicht mehr aus dem Ausland importiert, sondern in heimischer Produktion improvisiert werden, erzählt ein Vater, während er sich mit besorgtem Blick seinen oben fröhlich winkenden Kindern zuwendet.

Den Nervenkitzel der dahinrottenden Geräte im Vergnügungspark dürfte in der irakischen Hauptstadt derzeit ohnehin kaum jemand vermissen. Das ganze Leben gleicht einer Achterbahn, Saddam Husseins Politik – die man auf arabisch „Hafat il-haawiya“, am Rande des Abgrunds, nennt, erzeugt Aufregung genug. Noch am Freitag waren die meisten Bewohner Bagdads mit der sicheren Erkenntnis ins Bett gegangen, noch in derselben Nacht bombardiert zu werden. Vizepremier Tarik Asis hatte offenbar am Tag zuvor auf einer Pressekonferenz alle diplomatischen Türen zugeschlagen. „Wir sind nicht diejenigen, die anbieten, sondern denen angeboten werden muß“, hatte Asis ärgerlich verlauten lassen. „Krieg!“ schrieb ein Journalist am Ende seiner Notizen.

In der Nacht von Freitag auf Samstag ließ Saddam Hussein dann, wenige Stunden vor dem erwarteten Angriff der US-Luftwaffe, über die irakische Nachrichtenagentur verbreiten, er habe die Krise eigentlich nie gewollt und sei allen Vorschlägen gegenüber offen. Die diplomatischen Mühlen zwischen Bagdad und der UN in New York begannen zu mahlen. Was folgte, war ein intensiver Briefaustausch: UN-Generalsekretär Kofi Annan forderte Saddam Hussein noch einmal auf, seine Entscheidung, nicht mehr mit den UN-Waffeninspektoren zusammenzuarbeiten, ernsthaft zu überdenken. Die irakische Regierung übergab zunächst Briefe an die Botschafter Frankreichs, Rußlands und Chinas, in dem noch einmal genau dargelegt wird, wie nach Auffassung Bagdads eine umfassende Überprüfung der Sanktionen aussehen sollte.

Am Samstag nachmittag kündigte ein Vertreter des irakischen Informationsministeriums den ausländischen Journalisten vor Ort an, es werde eine positive Antwort auf den Appell des UN-Generalsekretärs geben. Was die Journalisten zu diesem Zeitpunkt noch nicht wußten, war, daß die USA noch für den Abend einen massiven Luft- und Raketenangriff geplant hatten. Am frühen Abend wurde dann bekannt, daß Tarik Asis in einem Brief an Kofi Annan der Wiederaufnahme der Arbeit der UN-Waffeninspektoren zugestimmt hatte. Aufatmen im Bagdader Pressezentrum, viele Journalisten planten bereits ihre Abreise. Kurz zuvor hatten die USA, was erst am nächsten Tag zu erfahren war, ihren Angriff abgeblasen.

Das erste Mal erfuhren die von ausländischen Medien weitgehend abgeschnittenen Iraker über das Einlenken ihrer Regierung in den Samstagabend-Nachrichten. Der Brief von Tarik Asis wurde verlesen, aber auch das am Tag zuvor an die Botschafter Frankreichs, Rußlands und Chinas verfaßte Schreiben, das als Anhang und irakische Positionsbestimmung dem Brief an den UN-Generalsekretär beigelegt wurde. Darin schlagen die Iraker vor, daß etwa sieben Tage nach der Rückkehr der UN-Inspektoren die UN-Resolution gegen den Irak einer umfassenden Prüfung unterzogen werden solle. Außerdem unterbreitet der Irak den Vorschlag, schrittweise vorzugehen: Immer wenn ein Teil der Auflagen rund um die Abrüstung von Massenvernichtungswaffen erfüllt würde, solle ein Teil der Sanktionen aufgehoben werden. Ein Anhang also, der lauter Punkte enthält, die bisher von den USA und Großbritannien strikt abgelehnt wurden. Die Gretchenfrage der Nacht lautete, ob diese beiden Länder den Anhang mit der irakischen Positionsbestimmung im Sicherheitsrat als Bedingungen auffassen und so das irakische Einlenken ablehnen würden.

Noch spät in der Nacht kam die Antwort, während eines Treffens des UN-Sicherheitsrats. Der Brief an UN-Generalsekretär Kofi Annan enthalte Bedingungen und sei daher inakzeptabel, ließ US-Sicherheitsberater Sandy Berger verlauten. Präsident Clinton sagte eine geplante Asienreise endgültig ab. Der UN-Sicherheitsrat wurde zu weiteren Beratungen für den nächsten Tag einberufen.

Am Sonntag morgen waren die Menschen in Bagdad in der Erwartung aufgewacht, daß die Krise vorüber sei. Sie erfuhren, daß sie in der Nacht zuvor nur knapp einem massiven Bombardement entkommen waren. Irakische Medien hatten bis dato nur vom Einlenken ihrer Führung gesprochen. „Eine weise Entscheidung und ein neuer Sieg“, titelte die Zeitung der Regierungspartei ath-Thaura, (“Die Revolution“). Die Entscheidung hätte den Amerikanern den Teppich unter den Füßen weggezogen, kommentierte das Blatt.

Auf dem Markt für harte Währungen stieg der irakische Dinar gegenüber dem Dollar. Auch die Schlangen an den Tankstellen, an denen die Menschen in den letzten Tagen angestanden hatten, um vor dem Krieg noch schnell ihr Auto vollzutanken, waren verschwunden. Auf die Frage, wie sie die US- Weigerung interpretierten, zeigten sich die meisten Befragten überrascht. Erst im Laufe des Tages verbreitete sich die Nachricht, daß die Krise noch nicht beendet sei.

Seit gestern lebt man in Bagdad, wie in den letzten Tagen so häufig, nach Washingtoner und New Yorker Zeit. Am späten Nachmittag Bagdader Zeit machten sich gestern an der amerikanischen Ostküste die US-Regierungsbeamten und UN-Diplomaten auf den Weg in ihre Büros. Erst spät in der Nacht sollte der UN-Sicherheitsrat seine nächste Sitzung einberufen, an deren Ende die Menschen im Irak womöglich wissen, wie die Achterbahnfahrt weitergeht. Karim El-Gawhary, Bagdad