: Lustig und schön absurd
■ Ein Salon für No-name-LiteratInnen serviert kurzweilige Unterhaltung mit Niveau
Noch so ein literarischer Salon, der sechste (oder siebte?) dieser Stadt. Muß das sein? Ja, denn erstens kostet bei den Newcomern Literatur keinen Eintritt. Und zweitens schafft es Gastgeberin Anja Kraus dank eines großen Bekanntenkreises in der Kunst- und Philosophieszene, wirklich unbekannte Schreiber im privaten Rahmen zu präsentieren.
Zu einem No-name-Literaten, der in der Regel zum ersten Mal vor Publikum liest, gesellt sich ein Berlin-berühmter, vortragserfahrener Gast. Beim letzten Mal las Nadja Bentz aus ihrem Romanfragment „Die Reisen vom Jonathan Keuchel“, was höchst amüsant war und eines Tages gedruckt gehört. Claudius Hagemeister stellte Kurzgeschichten vor, schön absurd und lustig.
Vergangenen Sonntag gab zunächst Alistair Noon kurze Texte zum besten, mal auf deutsch, mal auf englisch. Da erzählte der 28jährige in einer biographischen Notiz von seinen Kommilitonen in Bristol, die ihn am Tag, als die Berliner Mauer fiel, nur fragten, was denn sonst noch so in der Welt los wäre. Es gibt eben wichtigere Dinge als fallende Mauern. Einkaufen bei Schlecker zum Beispiel: „Finding tampons where I thought the toothpaste was.“ Der Engländer, seit 1993 in Berlin lebend, ist ein Lautdichter, der Ernst Jandl und dessen Sprachspiele als Vorbild nennt. So zerpflückt er in „Reading Kafka“ den Dichter: „ka – ka; f; ka – ka ; f – ka; ka – f ...“ Dann aber entfernt er sich von Worten und Silben. Noon zischt, bellt, grunzt, flüstert, schnalzt und schmatzt Laute, manchmal mit Wortfetzen vermengt, strukturiert Texte um – schafft mit seinem Mundwerk Lippen- und Zischlautgedichte, phonetische Kompositionen, Improvisationen, Soundbites. Es geht nicht mehr um den Transport von Inhalten, sondern darum, das Publikum „mit Lauten und Rhythmen zu bewegen“. Und die Spoken Word Poetry kommt prima an, alle amüsieren sich, staunen, lachen.
Kontrastprogramm: Antje Wessels las erst- und einmalig (was schade ist) aus ihrem Skript, das sich mit den gängigen Rekonstruktionsmethoden bei fragmentarischen Textfunden beschäftigt. Am Beispiel der Satyrspiele, von denen fast nichts überliefert ist, unternimmt sie den Versuch, eine Geschichte zu erzählen. Dabei spielt sie mit Zitat und Lücke und Erinnerung. Was sich trocken anhört, ist spannend und lustig. Auch Dank der Vortragskunst von Antje Wessels: Erst doziert sie wie im Seminar, dann aber schauspielert sie, hetzt durch den Text, flüstert oder spricht mit unterschiedlichen Stimmen die Dialoge und serviert zum Beispiel so etwas: Bist du von Zeus?, fragt der Greis. Und Diktys antwortet: Von Sinnen! Andreas Hergeth
Lesungen: Anja Kraus am Koppenplatz 6, Infos unter 2858230
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen