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Wieder angesagt: Der Käsekuchen zum Kontakt

Berlin ist nicht nur ein Ort wirklicher Verhältnisse, Berlin wird Tag und Nacht neu gedacht, neu gewünscht. Zum Spiel gehört der Griff in die Kiste der Tradition: Man spricht von Gründerzeit, liest die Feuilletonisten der 20er und geht angeblich wieder in literarische Salons  ■ Von Michael Neubauer

Einige Medien erkennen derzeit die Rückkehr der Salonière, der Dame der Gesellschaft, die sich einen intellektuellen Zirkel nach Hause einlädt. Gerne würden die Berliner Henriette Herz und Rahel Varnhagen von Ense wiederbeleben, die großen Salondamen, die im 19. Jahrhundert regelmäßig Künstler, Schriftsteller, Politiker und Intellektuelle einluden und die Kunst der Konversation pflegten. Doch die Damen liegen auf Berliner Friedhöfen.

Ganz so neu, wie die Medien gern behaupten, sind Salons in Berlin indes nicht. Der bekannteste ist wohl der Jour fixe des Schriftstellers und Wilhelm-II.- Spezialisten Nicolaus Sombart. Jeden Sonntag trifft sich ein auserwählter Kreis, in den eine Quote miniberockter Philosophiestudentinnen aufgenommen wird. Zum Gespräch über Mietpreiserhöhungen oder Tagespolitik wird Tee und Gebäck gereicht mit Sombart als Herr in der Mitte.

Regen Zulauf hat derzeit eine bestimmte Spezies von Salon: der literarische, von dem es öffentliche und private gibt. Zum Literarischen Salon von Britta Gansebohm kann zum Beispiel jeder kommen: „Ich will keinen geschlossenen Kreis einer geistigen oder künstlerischen Elite“, sagt sie. Die 31jährige Studentin hat vor drei Jahren in einem Atelier in Kreuzberg begonnen, befreundete Filmemacher, Fotografen und Germanisten einzuladen mit der Bitte, ihre Arbeiten vorzustellen.

Gansebohm erteilt der herkömmlichen Lesung eine Absage. Die sieht normalerweise so aus: Eine Stunde zuhören, vier Fragen stellen und nach dem Signieren nach Hause gehen. Das hat nicht mehr viel mit Austausch zu tun. Und auf Geselligkeit und Geplauder, nachdem man der Literatur sein Ohr geliehen hat, legt Gansebohm großen Wert: „Im Gegensatz zu den Literaturhäusern in Berlin wird im Salon eine demokratische Gesprächskultur gepflegt.“ Zweimal im Monat findet ihr Literatursalon statt, mittlerweile im Clubraum des Kulturzentrums „Podewil“ im Osten der Stadt. Stunden vorher richtet sie den Raum her: Auf die runden Tische legt sie grüne und rote Samttischdecken, stellt sie Kerzen und Schüsseln voller Schokoladenkekse. Es gibt Wein, Messingvasen mit Röschen, klassische Musik und leuchtende Plastikblumen. Einige Stoffsofas laden zum Einsinken ein. „Eine gemütliche Atmosphäre regt die Kommunikation an“, sagt Gansebohm. Dazu gehört auch, daß sie die Gäste persönlich begrüßt und ein Gästebuch auslegt, in das Eindrücke und Adressen notiert werden können.

Bei Gansebohm lesen vor allem junge Autoren: Kathrin Röggla, Jan-Peter Bremer oder Alexa Henning von Lange waren da. An diesem Abend stellen abwechselnd die Germanisten Christian Jäger und Gregor Streim Prosaskizzen und Feuilletons des Ethnologen Arnold Höllriegel vor. Danach tauscht man Gedanken über den Text aus und geht irgendwann über zu Themen aller Art.

Was bei Gansebohm durch die Gestaltung des Raumes gelingt, hoffen manche Kulturveranstalter in Berlin mit der reinen Verwendung der Bezeichnung „Salon“ zu erreichen. Das Wort klingt einladend und explizit, verheißt Gemütlichkeit und Szenetreffpunkt. Da nennt sich in Berlin-Mitte eine schöne Buchhandlung und Galerie „Juliettes Literatursalon“ in Anspielung auf de Sade, doch die Lesungen dort sind eher von altbekanntem Schema. Gansebohm: „Mit der Bezeichnung wird inzwischen gut Marketing betrieben.“

Nicht für jedermann zugänglich ist der private Literatursalon von Carolin Fischer, der seit elf Jahren unregelmäßig an Freitagen stattfindet. Die 36jährige Romanistin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Humboldt-Universität will elitär sein und steht dazu: „Ich habe kein Interesse, ganz fremde Leute in meine Wohnung zu holen.“ Sie holt sich an diesem Abend den jungen Autor Thomas Hettche in ihre große Schöneberger Altbauwohnung mit Stuck, stilvollen Spiegeltischen und Parkett. Autoren, die wie bei Gansebohm kein Honorar verlangen, findet sie über Bekannte in der Literaturszene oder durch ihre Arbeit als Journalistin. „Das ist ein Schneeballeffekt“, sagt Fischer, die selbst schreibt und vor kurzem erotische Geschichten „Gärten der Lust“ veröffentlicht hat.

Eine junge Frau serviert ein Getränk namens „Kalte Ente“, in der Küche steht der traditionelle Käsekuchen, den es schon in ihrer Studentenbude gab, wo die Salonidee entstand. An diesem Abend treffen sich Ärzte, Rechtsanwälte, Professoren, viele kennen sich schon von den letzten Malen.

Die Salonière trägt eine weiße Bluse und einen schwarzen langen Rock, ihr langes blondes Haar offen. Sie erzählt vor der Lesung, wie sie die Ehre hatte, Hettche kennenzulernen, versprüht Charme und kokettiert mit privaten Geschichtchen, bevor der Autor am weißen Stehpult dem kleinen Kreis aus seiner neuen Prosa vorträgt und sein Wohlwollen dem Salon gegenüber bekundet: „Hier kann ich lesen, was ich will.“ Hettches Passagen spielen in Venedig, die Lektüre dauert etwa eine halbe Stunde. „Schöner Text“, loben ihn die Anwesenden und stellen einige sehr literaturwissenschaftliche Fragen, bevor die Runde sich in Grüppchen auflöst.

Das Ziel ihres Salons umschreibt Fischer so: „Ich will Geselligkeit und Kommunikation, die im Idealfall darüber hinausgeht.“ Sie meint Kontakte. In ihrem Salon fand ein Lyriker schon mal seinen Verleger, gemeinsame Interessenbildung ist beim Essen des Käsekuchens nicht ausgeschlossen. „Die Menschen treffen sich zu oft mit Leuten aus der gleichen Branche, ich möchte unterschiedliche Berufsgruppen zusammenführen.“ Die Literatur schaffe ein gemeinsames Gesprächsthema, von dem man sich lösen und zu dem man wieder zurückkehren kann.

Als Aperitif für ein Menü der Kontakte sehen sich die Schriftsteller aber nicht. Die Autorin Carmen-Francesca Banciu las auch einst bei Fischer und kommt dieses Mal als Gast: „Man trifft Leute wieder. Gerade diese Kontinuität ist das Schöne an einem Salon.“ Der Aspekt des nützlichen Kontakts ist auch für sie ein Argument dafür, sich sehen zu lassen. Die Menschen aus dem Literaturbetrieb und aus den Medien brauchen einander. Der Salon ist nicht nur vertrauter Kreis gegen die Anonymität der Großstadt, er erneuert regelmäßig das Spiel der Möglichkeiten und das Gefühl, Teil der Sahne zu sein — wenn auch nicht in dem Maße, wie es bei Lesungen in den Wohnzimmern von Verlegern und Agentinnen geschieht.

Fragt man die beiden Salonleiterinnen, ob sie gerne anknüpfen möchten an die lange Tradition dieser Treffen, winken sie ab. Das wären damals andere Bedingungen gewesen. Ähnlich wie früher sei aber ihre vermittelnde, soziale und harmonisierende Funktion. Den Bekanntsheitsgrad wie ihre Vorgängerinnen erreicht Britta Gansebohm aber vielleicht doch noch, wenn sie ihren Wunschtraum erfüllen kann: Zweigsalons in München und Hamburg mit exquisiten Weinhandlungen als Sponsoren.

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