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Wir könnten authentisch werden

betr.: „Bubis gegen Walser. Wie sollen wir uns erinnern?“,

taz vom 10. 11. 98

bubis' befürchtung, daß eine schuld, die seit jahrzehnten die politischen beziehungen nicht nur zwischen zwei völkern bestimmt, verinnerlicht den schuldner wieder zum menschen machen könnte, besteht zu recht. die schuld entzöge sich der eindeutigkeit, der funktion im politischen schlachtfeld, wie walser zu recht bemerkt. was walser implizit fordert, ist, daß nicht mehr das jüdische volk das schlechte gewissen der deutschen übernähme, auch nicht politik die dimension dieses gewissens bestimmte, sondern der einzelne die schuld übernähme, und die schuld kann nur übernommen werden von einem täter. wo die tat wegen der schuld versagt wird, kann auch die schuld nicht empfunden werden. nichts ist abgegolten, noch wird es das jemals sein. aber wir haben immer noch nicht die möglichkeit ergriffen, schuld auf uns zu nehmen, und trotzdem wieder vor der tatsächlichen möglichkeit zu stehen, als täter zu verletzen und die entscheidung treffen zu können, das nicht zu tun. daß das israelische volk jetzt täter sein kann, daß es aktiv positionen besetzt und verteidigt, könnte uns vorbild sein. in einer dialogischen beziehung zu diesem volk könnten wir uns um eine gegenwart bemühen, die um das schlechteste im menschen weiß. dieses schlechteste zu kennen und zu empfinden soll uns beschränken, soll uns verantwortung empfinden lassen. mit diesem wissen werden wir nie wieder so schön sein, wie schöne körper es verkünden, wir könnten aber authentisch werden. Gerd Bungert, Berlin

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