piwik no script img

Die Chance liegt im System

Trotz des 1:2 gegen 1860 kann der SC Freiburg dem Land beweisen, daß bei moderner Ordnung die Teamleistung größer ist als die Summe der individuellen Möglichkeiten  ■ Von Ulrich Fuchs

Freiburg (taz) – Vor zehn Tagen hat Volker Finke noch einmal eindringlich ans Wesentliche gemahnt. „Die Frage ist doch von Anfang an gewesen“, sagte der Cheftrainer des SC Freiburg, „ob die Mannschaft mit ihrer Spielweise in der ersten Liga bestehen kann – und daran hat sich nichts geändert.“ Das war nach nach der 0:1-Niederlage gegen den 1. FC Kaiserslautern. Weshalb Finke für vermeintliche Träumer gleich noch ergänzte, was „nicht die Frage“ ist: „Ob wir mit unserem Spielsystem den amtierenden Meister und Champions-League-Teilnehmer dominieren.“

So gesehen könnte man auch die Sonntags-Niederlage der Freiburger gegen 1860 München getrost abhaken. 1:2 gegen den Bayern-Verfolger, der bis dato eine bärenstarke Saison gespielt hat – für eine Mannschaft, die um den Klassenerhalt kämpft, gibt es Niederlagen, die bitterer sind. Einerseits.

Andererseits hat der 19jährige Ali Günes nach der dritten Schlappe in Folge nachdenklich angemerkt: „Jetzt heißt es wieder, Freiburg spielt schön, kann aber nicht gewinnen.“ Und? Ist da was dran? „Quatsch“, sagt Günes, „wenn wir wieder unser Spiel spielen, viel laufen, viel verschieben, richtig aufnehmen – dann gewinnen wir auch wieder.“

Womit ans Grundsätzliche gerührt war. Der Aufsteiger war an diesem Abend nicht an einem übermächtigen Gegner gescheitert. Vor allem in den 25 Minuten nach der Pause hatte er seine eigentliche Spielidee preisgegeben. Nichts war mehr zu sehen vom aggressiven Pressing, mit dem der Gegner permanent unter Druck gesetzt werden soll; nichts vom Kurzpaß-Kombinationsspiel, das insbesondere in der Viertelstunde vor dem Wechsel für höchste Gefahr im Münchner Strafraum gesorgt hatte. „Unfreiwillige läuferische Defizite“, diagnostizierte Trainer Finke anschließend als Grund für den Einbruch, der die Münchner zurück ins Spiel und nach der Freiburger Führung durch Kohl (35.) den Ausgleich (Malz, 65.) gebracht hatte.

Kurz nachdem Finke („Wir sind nicht mehr richtig in die Zweikämpfe gekommen“) versucht hatte, das entstandene Ungleichgewicht auszutarieren, und den laufstarken Günes (70.) ins zentrale Mittelfeld beorderte, erzielten die Münchner nach einem Konter (Hobsch, 75.) die Führung. Das Freiburger Wechselspiel – neben Günes waren Hermel und Sellimi ins Spiel gekommen – blieb ohne meßbaren Niederschlag. Zumindest was die Torausbeute betrifft. Aber auch 1860-Trainer Werner Lorant („Die Freiburger tun mir ein bißchen leid“) war nicht entgangen, daß seine Elf die Schlußviertelstunde nur „mit viel Glück“ unbeschadet überstanden hatte. Der Sport-Club hatte da wieder in sein Spiel zurückgefunden und „sehr viel Druck“ (Lorant) gemacht; das Konzept, dem individuell stärker besetzten Gegner durch taktisch geschicktes Laufspiel zuzusetzen, hatte wieder angeschlagen.

„Einfach weiterarbeiten“ hat Trainer Finke deshalb als Devise ausgegeben und trotz der Ankunft im Abstiegskampf nach dem 13. Saisonspiel im Oberhaus eine verhalten positive Bilanz gezogen: „Die Mannschaft hat in vielen Spielen gezeigt, daß sie mithalten kann.“ Selten aber war auch so eindrücklich wie im Spiel gegen 1860 zu sehen, daß die Umsetzung der anspruchsvollen taktischen Ordnung die Voraussetzung dafür ist.

Für Trainer Finke bedeutet das von Woche zu Woche eine Gratwanderung bei der Nominierung des fragilen Gefüges. Setzt er im Mittelfeld auf den enorm laufstarken Günes oder die größeren individuellen Qualitäten von Kobiaschwili? Im Angriff auf den explosiven Antritt von Ben Slimane oder die weiten Wege und das intelligente Spiel von Sellimi? Vor allem aber: Wie kann das Gesamtgefüge kompensieren, was den einzelnen an Fähigkeiten abgeht oder an Entwicklungsschritten noch fehlt? Denn das ist ja die Grundidee, die es zu beweisen gilt: Daß die Mannschaftsleistung größer sein kann als die Summe der individuellen Möglichkeiten.

Am nächsten Sonntag steht sie am Gladbacher Bökelberg auf dem Prüfstand. „Da wird eine Atmosphäre herschen“, prophezeite der Ex-Borusse Michael Fronzeck, „die einige bei uns hier noch gar nie erlebt haben.“ Ali Günes mochte sich durch die mahnenden Worte seines Kapitäns aber gar nicht erst kirre machen lassen: „Steck ich mir halt Stöpsel ins Ohr – und außerdem hört man das sowieso nicht, wenn man voll konzentriert spielt.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen