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"Tierversuche sind unverzichtbar"

„Tierversuche sind unverzichtbar“ – dies war die zentrale Aussage des Hirnchirurgen Professor Volker Sturm von der Uni Köln in einem taz-Interview vom vergangenen Donnerstag. Sturm hat erhebliche Erfolge bei der Behandlung von Parkinson-Patienten. Allein dazu sei er auf Tier-Experimente angewiesen. Was TierversuchsgegnerInnen zu seinen Argumenten sagen, dazu sprach die taz mit dem ehemaligen Unfall-Chirurgen und Vorsitzenden der Vereinigung Ärzte gegen Tierversuche, Werner Hartinger.

taz: Herr Hartinger: „Tierversuche sind unverzichtbar“ – was ist Ihre Meinung dazu?

Werner Hartinger, Ärzte gegen Tierversuche: Die Frage, ob sie überhaupt an einem Tier das eruieren können, was für den Menschen von ausschlaggebeneder Bedeutung ist, ist schon längst geklärt. Inzwischen sagen die meisten neurochirurgen, daß das Gehirn eines Tieres nicht mit dem eines Menschen zu vergleichen ist. Auf keiner Stufe. Darum sind Tierversuche vollkommen überflüssig.

Professor Sturm sagt, erst durch Tierversuche kennt er die exakte Lage von Gehirnzentren, was seine Erfolge bei der Parkinson-Behandlung überhaupt ermöglicht.

Wenn er ein Tier untersucht und Eingriffe im Hirn vornimmt, kommt er natürlich zu gewissen Ergebnissen. Aber dann stellt sich die Frage, ist das beim Menschen genauso? Das kann er überhaupt nicht beantworten. Er kann dies nur für das Tier beantworten. Darum muß er etwa bei unfallverletzten Menschen untersuchen, ob es dort die gleichen Ergebnisse gibt. Wenn er dann bei tausenden unterschiedlichen Fällen einmal eine Kongruenz feststellt, kann er nicht allgemein sagen, Tierversuche sind unverzichtbar. Selbst der Gesetzgeber sieht vor, daß chirurgische Behandlungsmethoden oder neue Medikamente nicht am Tier sondern am Menschen erprobt sein müssen, bis sie für den Markt zugelassen werden.

Aber macht es dann nicht Sinn, erst einmal eine gewisse Grundlagenforschung am Tier vorzunehmen bevor man am Menschen probt?

Es wurde gerade der Nobelpreis dafür verliehen, daß jedes Tier, daß jedes Individuum ein artspezifisches Organisationsprinzip hat. Daß ist auch der grund, warum selbst in der Grundlagenforschung keine Rückschlüsse vom Tier auf den Menschen erlaubt sind. Das können sie dadurch sehen, daß in der Humanmedizin erfolgreich eingesetzte Arzneimittel beim Tier zu schwersten Schäden führen können und umgekehrt. Also auch die Grundlagenforschung am Tier, kann sagt nichts anderes aus, daß die Ergebnisse bei eben diesem Tier zu eben solchen Prozessen führen. Und danach müssen wir sehen, ob es beim Menschen ebenso ist. Und wenn es dann bei mehreren tausend versuchen zwei Übereinstimmungen gibt, hat das keinerlei Aussagekraft. Die Pharmaindustrie geht selbst davon aus, daß bei 10.000 Tierversuchen die Wirkung und die Verträglichkeit beim Menschen in ein oder zwei Fällen identisch ist. Die französische Pharmafirma Rhone Poulenc geht sogar von einer Quote von 1 zu 20.000 aus. Das ist ungefähr das Verhältnis, wie sie mit Analogieschlüssen liegen bei Vergleichen zwischen Tier und Mensch.

Gibt es bekannte Medikamente, die beim Menschen zu Erfolgen bei Tieren aber nicht geführt haben?

Nehmen Sie das Morphium. Morphium bewirkt bei Katzen einen epiletiformen Krampfzustand, der bis zum Tod führen kann. Oder nehmen Sie das Chlorethyl, daß bei uns noch vor 20 Jahren in der Narkose viel verwendet wurde. Das ist in England an Hunden erprobt worden und hat jedesmal mit dem Tod geendet. Deswegen wurde es erst wieder in den Schrank gestellt. Und nur durch Zufall, durch das versehen einer Assistenzärztin, wurde es beim Menschen verwendet mit dem bekannt positiven Ergebnis. Das sind nur zwei von unzähligen Beispielen. Das beweist doch eindeutig, daß Ergebnisse aus Tierversuchen überhaupt nicht auf den Menschen übertragbar sind. Die Wirkung kann sogar verheerend anders sein. Fest steht somit: In der Biomedizin kann nur der jeweilige Ist-Zustand ermittelt werden – in dem Fall der der Bio-Materie. Ob das dann der gleiche bei einem anderen Individuum ist, ist stets höchst zweifelhaft, weil jedes Lebewesen ein anderes Organisationsprinzip hat.

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