Kommentar: FU-Wahlkampf hat begonnen
■ Dahlemer Hochschule sucht ihr Profil
Wenn die Freie Universität einen neuen Präsidenten wählte, dann war das früher ein Politikum ersten Ranges. Als der Assistent Rolf Kreibich 1969 das neugeschaffene Amt übernahm und das Regime ergrauter Rektoren ablöste, sahen konservative Professoren schon den Untergang des Abendlands heraufziehen. Selbst der angesehene Germanist Eberhard Lämmert, der sieben Jahre später auf Kreibich folgte, wollte die Hochschule in ihren Augen den Kommunisten ausliefern. Dagegen war jedes Mittel recht: Bei Lämmerts Wahl 1976 ließen sie die Stimmzettel verschwinden, um das Ergebnis anfechten zu können. 1983 putschte sich der konservative Jurist und spätere Innensenator Dieter Heckelmann mit plumper Intrige an die universitäre Macht.
Doch nicht nur innerhalb der Hochschule spannen sich die Intrigen, auch Politik und Medien behandelten im alten Westberlin die Besetzung der FU-Spitze als Staatsaktion ersten Ranges. Heute ist das Thema auf die hinteren Seiten der Lokalblätter verbannt, für die Boulevardzeitungen ist nach dem Autounfall des FU-Präsidenten allenfalls dessen Gesundheitszustand noch ein Thema.
Daß sich für die Personalie außerhalb von Dahlem kaum noch jemand interessiert, kann eigentlich niemanden wundern. Schließlich ist Berlin nicht Tübingen oder Marburg, wo von der Alma mater das Wohl und Wehe der ganzen Stadt abhängt.
Schön ist es für die FU trotzdem nicht. Schließlich zeigt es einmal mehr, daß die Hochschule im südwestlichen Vorort seit dem Fall der Mauer in den Schatten gerückt ist. Auch das Brimborium ums 50jährige Bestehen in diesem Jahr kann nicht davon ablenken. Die Humboldt-Universität hingegen ist jetzt auch mental wieder dort angekommen, wo sie geographisch schon immer war: im Zentrum. Im Herzen der Berliner Republik braucht sie sich um das vielbeschworene „Profil“ nicht zu sorgen.
Während sich FU-Vizepräsident Peter Gaehtgens in den Niederungen des Alltags mühen und auf den Jubiläumsfeiern seine Hochschule schönreden muß, hat die Gegenkandidatin Gesine Schwan große Visionen: Ein zentraler Campus auf dem Gelände des einstigen amerikanischen Hauptquartiers soll die Fächer wieder zusammenführen und die Hochschule in der Stadt sichtbarer machen. Ob das eine Patentlösung ist, steht dahin. Doch das eigentliche Thema des Wahlkampfs ist damit benannt: Die Rolle der FU in der künftigen Hauptstadt. Ralph Bollmann Bericht Seite 18
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