: Til tanzt auf dem Tisch
„Kai Rabe gegen die Vatikankiller“ und „Der Eisbär“ zeigen, daß selbst deutsches Kino von Hollywood lernen kann ■ Von Thomas Winkler
Es war vor einer Woche, da saß Til Schweiger in der „Harald Schmidt Show“. In wenigen Tagen sollte seine erste Regiearbeit, „Der Eisbär“, in den deutschen Kinos anlaufen. Und damit sollte auch eine für deutsche Produktionen bislang ungekannte Promotion-Offensive ihren Abschluß finden. 4,7 Millionen Mark hatte der Film gekostet. Das ist zwar auch hierzulande nicht mehr so schrecklich viel Geld. Doch dafür lag der Werbeetat mit 3,5 Millionen fast genauso hoch, und Schweiger selbst tingelte sechs Wochen lang im Dienste der Öffentlichkeitsarbeit durch die Lande. Das war dann doch neu. Aber, so merkte Schweiger beim humorigen Late-night-Talk ganz richtig an, das sei in Amerika schon seit längerem so.
Insoweit ist man in Deutschland also wieder mal gerade dabei, Normalität herzustellen. Zu der trägt „Der Eisbär“ selbst bei, weil auch ein exorbitanter Werbeetat und Cinemascope aus einem herzlich normalen Film zwar kein Meisterwerk, wahrscheinlich aber einen Kassenerfolg machen.
Ein wenig mehr Geld als „Der Eisbär“, den Schweigers Firma Mr. Brown Entertainment fast noch im Low-Budget-Bereich produzierte, dürfte „Kai Rabe gegen die Vatikankiller“ gekostet haben. Über genaue Zahlen schwieg man sich bei Warner und der Produktionsfirma auf Nachfrage aus. Zu erfahren war nur, daß der Werbeetat nicht an die Produktionskosten heranreiche. Regie geführt hat Thomas Jahn. Dessen Erstling, der 1997 von Mr. Brown produzierte Film „Knockin' On Heaven's Door“ mit Til Schweiger in der Hauptrolle, hat 3,7 Millionen Zuschauer ins Kino gelockt und damit neue Maßstäbe für einheimische Filme gesetzt. Und für ein neues Anspruchsdenken gesorgt. Deutschland war nun nicht mehr nur ein Markt, auf dem es sich lohnte, in Multiplexe zu investieren.
Echtes Geld mit deutschem Film
„Knockin' On Heaven's Door“ bewies, daß man mit deutschen Filmen nicht nur bei Filmförderungen betteln gehen, sondern echtes Geld verdienen kann. Deshalb betreibt Mr. Brown ein Büro in Los Angeles und sucht dort nach Drehbüchern, die dann in Deutschland verfilmt werden können. Deshalb produziert ein Konzern wie Warner für den deutschen Markt. Deshalb sind auch frei finanzierte Mittel für Filme wie „Kai Rabe“ oder „Der Eisbär“ da. Diese Filme werden nun entscheiden, ob auch nach ihnen das Geld noch da ist.
Schweiger weiß das. Anderthalb Millionen Zuschauer, sagte er dem Spiegel, und er würde „auf dem Tisch tanzen“. Nötig sind sie nicht unbedingt: Der Film ist über Filmförderung und den Vorabverkauf von Verleih- und TV-Rechten bereits durchfinanziert. Aber: Anderthalb Millionen Zuschauer werden entscheiden, ob Schweiger und seine Firma Mr. Brown Entertainment demnächst wieder einen solchen Etat auf die Beine werden stellen können. Anderthalb Millionen Zuschauer würden nachweisen, daß es nicht immer nur der eine einsame deutsche Glückstreffer im Jahr sein muß, der sich rechnet, weil er zufällig den unzuverlässigen Zeitgeist trifft. Anderthalb Millionen Zuschauer hieße, daß vielleicht nicht der große Erfolg planbar ist, doch immerhin die Refinanzierung eines Films, der auf einem gut geschriebenen Drehbuch und einem Plot basiert, der durchaus strategisch die Herztöne des Trends abhorcht. Zur Strategie gehört dann auch, möglichst viele Stars zu versammeln.
Die Rollen können klein sein, der Name zählt. So werden die noch matten Lichter Steffen Wink und Sandra Speichert in „Kai Rabe“ von Heinz Hoenig, Hannelore Elsner und Jan Josef Liefers garniert. In „Der Eisbär“ sagt Peter Maffay nicht mal einen vollständigen Satz, bevor er erschossen wird, aber er macht sich gut auf dem Plakat. Es scheint zu funktionieren. Am ersten Wochenende wollten ungefähr 220.000 Menschen „Der Eisbär“ sehen.
Die neuen Regisseure kommen nicht von der Filmhochschule. Jahn hat Drucker gelernt und sich als Taxifahrer durchgeschlagen. Auch ansonsten wird's immer amerikanischer, normaler. Schauspieler wie Schweiger produzieren, weil sie den Namen haben, der die Geldgeber überzeugt. Nun drehen sie auch selbst. Momentan werkelt Liefers, Co-Star von Schweiger in „Knockin' On Heaven's Door“, an seinem Regiedebüt „Jacks Baby“, bei dem er neben Veronica Ferres die Hauptrolle spielt. Filme, die Schauspieler drehen, werden ironischerweise selten sogenannte Schauspielerfilme. So auch „Der Eisbär“. Vielleicht liegt es daran, daß ein Schauspieler weniger Rücksicht nimmt auf Marotten und Eitelkeiten der Kollegen.
Um die geht es in „Kai Rabe gegen die Vatikankiller“ – unter anderem. Denn Drebuchautor und Regisseur Jahn rechnet mit dem Filmgeschäft ab. In seiner Film-im- Film-Komödie leiden Drehbuchautoren und Regisseure unter Schauspielern und Produzenten. Moralinsauer ist das trotzdem kein bißchen. Zur Tarnung läßt Jahn seine Komödie des öfteren in den Klamauk abrutschen. Seine Leistung liegt darin, jederzeit die Balance zwischen Groteske und Parodie zu finden.
Die Geschichte vom Filmset, auf dem parallel eine sinnlose Mordserie, eine unglaubwürdige Liebesgeschichte und noch drei, vier andere durchgedrehte Plots stattfinden, kann mit ihrem Querfeldeinritt durch die Genres eigentlich nicht funktionieren. Aber sie tut es. Ein Regisseur mit Che- Guevara-T-Shirt und Autoritätsproblemen, ein Hauptdarsteller mit einem Kühlschrank voller Jack Daniel's, hemmungslose Starlets, geldgierige Produzenten und noch geldgierigere Agentinnen – Jahn hat seine Protagonisten so hoffnungslos überzeichnet, daß nicht einmal mehr der aus „RTL Samstag Nacht“ berüchtigte Grimassenschneider Mirco Nontschew als Teil eines israelischen Killerduos aus dem Rahmen fällt.
Die ebenso schießwütigen wie dämlichen Israelis sind natürlich eine Anspielung auf das debile Gangsterpärchen aus „Knockin' On Heaven's Door“. Auch ansonsten wird fröhlich zitiert. Wenn der alkoholisierte Hauptdarsteller mit einer flammenden Rede das Filmteam zum Weitermachen bringt, wird er zum schnarrenden Wochenschau-Hitler und „Kai Rabe“ zu Lubitschs „Sein oder Nichtsein“. Beliebt sind auch die 60er, als Blacky Fuchsberger durch Co- Produktionen hechtete, an denen halb Europa beteiligt war. Damals hatte es auch zuletzt tatsächlich so etwas wie ein deutsches Starkino gegeben. Zumindest im Soundtrack tauchen Conny Froboess und Peter Krauss auf.
Etwas „Tatort“, viel Tarantino
Und weil Quentin Tarantino heutzutage niemals weit ist, hat in „Kai Rabe“ Tito and Tarantula, die Band aus „From Dusk 'til Dawn“, einen Cameo-Auftritt. „Der Regisseur hält sich für Tarantino“, sagt der Produzent zum Kommissar, den Klaus J. Behrendt als zerknitterte Mischung aus Columbo und seinen eigenen Rollen als „AS“ und „Tatort“-Kommissar gibt. Später werden sich Behrendt und sein Bauchansatz als Aushilfs- Travolta über die Tanzfläche schieben.
Nicht nur Schweiger, auch Quentin Tarantino hat mal als Schauspieler angefangen. Mr. Brown war sein Deckname in seinem Debüt „Reservoir Dogs“, und seine Verehrung für das Hongkong-Kino ist längst schon Folklore. So gipfelt die neunzigminütige multiple Parallelmontage von „Der Eisbär“ in einem achtfachen Waffen-an-der-Schläfe-Patt, wie sie bisher selbst ein John Woo noch nicht gewagt hat.
Im Gegensatz zu „Knockin' On Heaven's Door“, der deshalb ein Erfolg wurde, weil er überzeugend mit den überlebensgroßen Träumen vom US-Kino hantierte, hebelt „Der Eisbär“ von Beginn an die Klischees aus. Bevor Killer und Killerin, die sich ineinander verlieben sollen, überhaupt als die angeblich so coolen, perfekten Profis eingeführt werden, verabredet man sich bereits mit Mutti zum Spargelessen oder läßt frau sich das Auto klauen. Selbst der erwähnte Hongkong-Showdown ist keinesfalls todernstes Spiel, sondern die pure Comedy-Sequenz.
Was Roger Avery, Co-Autor von „Pulp Fiction“, einmal an Tarantino kritisierte – daß er in seinen Filmen nur „von anderen Filmen spricht, niemals über das Leben“ –, könnte bei „Kai Rabe“ und „Der Eisbär“ als Lob gelten. Bei Schweiger spricht das Kino nicht nur wie das Kino, sondern sogar schon wie die Zigarettenwerbung. Selbst und gerade der vehemente Einbruch deutscher Provinzialität in diese Filme, ob das nun die typisch deutsche Eckkneipe ist, in der „Der Eisbär“ zu einem guten Teil spielt, oder die Cameo-Auftritte deutscher TV-Prominenz in „Kai Rabe“, nichts davon hat wirklich mit dem Leben zu tun. „Die Wurst“, erzählt Leander Haußmann als deutschtümelnder Kneipenhocker in „Der Eisbär“, „wir haben die Wurst erfunden.“ Noch behauptet niemand, die Deutschen hätten das Genrekino erfunden. Aber mit seiner Dekonstruktion sind sie momentan recht erfolgreich beschäftigt.
„Der Eisbär“. Regie: Til Schweiger. Buch: Granz Henman. Mit Til Schweiger, Karina Krawczyk, Benno Fürmann, Florian Lukas, Jürgen Tarrach u.a. D 1998, 90 Min.
„Kai Rabe gegen die Vatikankiller“. Buch und Regie: Thomas Jahn. Mit Steffen Wink, Klaus J. Behrendt, Heinz Hoenig, Hannelore Elsner u.a. D 1998, 95 Min.
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