Analyse: Tabak und Milliarden
■ Der US-Tabakdeal zeigt: Gerichte entscheiden, was Gesetze regeln sollten
Im dritten Anlauf ist nun eine Einigung zwischen den US- amerikanischen Tabakkonzernen und den Bundesstaaten möglich. Die Staaten müssen sagen, ob ihnen der Spatz in der Hand lieber ist als die Taube auf dem Dach. Acht Bundesstaaten haben mit vier Tabakfirmen einen Deal ausgehandelt, bei dem die Tabakindustrie 206 Milliarden Dollar über 25 Jahre ausschüttet, um laufende und künftige Schadenersatzforderungen außergerichtlich zu regeln.
Die Idee, die Tabakindustrie für die Kosten des Rauchens verantwortlich zu machen, entstand im vergangenen Jahr. Während Staaten wie Florida, Texas oder Minnesota die Tabakindustrie verklagten und Einzelregelungen erzielten, machte sich eine Delegation von Staatsanwälten daran, den Konzernen eine Gesamtregelung vorzuschlagen. Es kam eine Abmachung heraus, bei der 300 Milliarden Dollar gezahlt werden sollten. Doch vor dem Kongreß wurde der Deal auf über 500 Milliarden aufgebläht und scheiterte.
Die jetzt ausgehandelte Regelung ist bescheidener, übernimmt aber Bestimmungen aus den ersten zwei Versuchen. So soll die Werbung eingeschränkt werden und die Packung Zigaretten um umgerechnet 50 Pfennig und nicht, wie vom Konreß vorgesehen, um zwei Mark verteuert werden. Anders als die gesetzliche Regelung schützt die jetzige Übereinkunft die Tabakindustrie nicht vor Sammelklagen von Geschädigten und sieht auch keine Extra-Zahlungen der Tabakindustrie vor, wenn die Zahl jugendlicher Raucher nicht sinkt. Von dem Geld sollen Antiraucherkampagnen bezahlt werden, und eine Studie soll Aufschluß darüber geben, weswegen Jugendliche so scharf auf Zigaretten sind.
Die Zigarettenindustrie will sich nur auf den Deal einlassen, wenn eine Mehrheit der Bundesstaaten sich ihm anschließt. Kritiker fragen, warum die Staaten gerade jetzt klein beigeben, wo Erfolge gegen die Tabakindustrie erzielt wurden. Die Tabakindustrie riskiert viel mehr, wenn die Klagen vor Gericht verhandelt werden. Doch bei diesen Prozessen wird juristisches Neuland betreten, der Ausgang der Prozesse ist ungewiß. Das bisher spektakulärste Verfahren in Minnesota wurde schließlich auch außergerichtlich geregelt – kurz bevor die Geschworenen in Beratung gingen.
Der Deal spricht Bände über das amerikanische System. Der traditionelle Gesetzgebungsprozeß ist in Amerika weitgehend zum Erliegen gekommen – wer etwas zu regeln hat, fährt viel besser damit, ein Gericht anzurufen und in dessen Schatten zu verhandeln. Die Städte Chicago, New Orleans und Philadelphia haben schon die entsprechenden Lehren gezogen und vergangene Woche Klage gegen die Waffenindustrie wegen der Kosten eingereicht, die Handfeuerwaffen in ihren Straßen verursachen. Peter Tautfest
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen