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Historischer Nachtrag

■ International, zeitumspannend, einzigartig, gut: Das „Metzler Autorinnen Lexikon“ wurde am Montag in Hamburg vorgestellt

Als der Metzler Verlag 1986 sein inzwischen längst zum Standardwerk avanciertes Autoren Lexikon herausgab, befanden die Stuttgarter Lektoren verschwindend wenig Schriftstellerinnen für kanonwürdig: Gerade sechs Prozent der ins Nachschlagewerk aufgenommenen AutorInnen sind weiblich. Bei der Hamburger Vorstellung vom soeben im selben Verlag erschienenen Autorinnen Lexikon war das Geschlechterverhältis im Publikum ein ähnliches, nur gespiegelt: Sechs Herren waren zur Diskussion mit den Herausgeberinnen erschienen, von denen sich bald drei als NDR-Mitarbeiter outeten und frühzeitig verschwanden.

Dabei stehen Autorinnen ihren männlichen Kollegen nicht einmal in der Eitelkeit hinterher: „Das Leben ist Wunscherfüllung“, grinste Ginka Steinwachs im Literaturhaus glücklich, „und irgendwann kriegt man's: Ich stehe wirklich gleich nach Getrude Stein.“ Die Hamburger Schriftstellerin ist eine von 400, die in dem 600seitigen, reich bebilderten Werk vertreten ist. 4000 Vorschläge machten und sammelten die Herausgeberinnen unter KollegInnen, bevor sie die Zahl nach einem viergliedrigen Forderungskatalog dezimierten: Literaturwissenschaftliche Relevanz und Bekanntheit im deutschen Sprachraum (wo das Lexikon verkauft werden soll) waren Kriterien neben Stellvertreterfunktionen für bestimmte Stilrichtungen oder eine für den Literaturbetrieb wichtige Biographie.

Im Gegensatz zum Metzler Autoren Lexikon, das sich auf deutschsprachige AutorInnen vom 18. Jahrhundert bis heute beschränkt, stellt das Autorinnen Lexikon internationale Schriftstellerinnen von der Antike bis heute vor. Umsetzbar war dieser umfassende Ansatz, da Frauen, gesellschaftlich und ökonomisch bedingt, erst sehr viel später als ihre männlichen Kollegen im größeren Maßstab zu publizieren begannen. Zusammenhänge und Entwicklungen auch in der alphabetischen Reihung aufzuzeigen, war ein großes Anliegen der Literaturwissenschaftlerinnen und Herausgeberinnen Ute Hechtfischer, Renate Hof, Inge Stepan und Flora Veit-Wild, weshalb die einzelnen Eintragungen essayistisch verfaßt und mit zahlreichen Querverweisen sowie Angaben zur Sekundärliteratur ausgestattet sind.

Entstanden ist ein Nachschlagewerk, das als Lesebuch verführt. Wenngleich man manche Autorin vermißt und sich über einige essayistische Stilblüten gelinde wundert, scheint das Werk mit seinen konkreten Angaben zu den Personen gleichwie der durchscheinenden Geschichte weiblicher Literatur, Kreativitätsunterdrückung und Emanzipation schon bei seinem Erscheinen unverzichtbar. Nicht als Beitrag zum Geschlechterkampf, sondern als Nachtrag zur Geschichtsschreibung.

Christiane Kühl

Ute Hechtfischer u.a.: Metzler Autorinnen Lexikon, Stuttgart 1998, 617 Seiten, 68 Mark

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