: Linksdrehende Hakenkreuze
■ Schon mal was von Erratik gehört? Wenn nicht, sollte man sich die Ausstellung von Heinrich Dubel in der Galerie berlintokyo ansehen
Was soll man von einem Mann mittleren Alters halten, der sich Heinrich Dubel nennt? Oder was soll ein solches Pseudonym verbergen und implizieren? Dubel jedenfalls hat das „wissenschaftliche“ Erratik Institut Berlin gegründet, um Forschungen über die Erratik, die Lehre vom Abweichenden, Unbekannten, zu führen. Ein Zweig seiner Forschung nennt sich „Erratische Architekturkritik“ und beschäftigt sich, natürlich, mit Bauwerken, und er zeigt in der gleichnamigen Ausstellung, nicht mehr ganz so natürlich, eine Sammlung von Fotos, die er „Nazi/ Porno“ nennt.
Die Fotos zeigen Graffiti von Hakenkreuzen und pornographischen Darstellungen aus der ganzen Welt. Und auch ein paar aus der Reihe fallende Motive wie die „Taqueria Hitler“, wie ein Imbiß in Guatemala wirklich heißt, oder einen niedlichen, runden Kopf mit zwei Pieksern an der Stirn, den Dubel „Teufelsdarstellung“ genannt hat. Er unterscheidet genau in „rechtsdrehende“ und „linksdrehende“ Hakenkreuze, und man könnte sich leicht Entrüstung bei den Besuchern ob der unkommentierten „schlimmen“ Abbildungen vorstellen: Macht sich Dubel etwa lustig über die traurige Tatsache, daß unbekannte Kinder Rechtsradikalismus- und Sexismussymbole aus Provokations- und Abgrenzungsgründen oder reiner Angeberei benutzten? Aber potentielle P.c.-Prediger gehen nicht so oft in die Galerie berlintokyo.
Dubel hat das Gespür eines Künstlers für absurde und auffällige Gegebenheiten, und er hat das Sendungsbewußtsein eines Künstlers: Er nennt seine Ausstellung „Nazi/Porno“ und nicht „Hakenkreuz/Porno“, weil „Nazi/Porno“ besser, nämlich provokanter und unglaublicher klingt und besser zieht. Dubel persifliert die Wissenschaft mit seinen langen und verschlungenen Wahrheiten über die Erratik, aber er schafft es, damit sämtliche Ungereimtheiten des Lebens weit weg von „Akte X“, Eso-Mythen und umstrittenen, zauseligen Parapsychologen auf eine eigene kleine Insel zu hieven, die er „Erratik“ nennt und auf der alles erlaubt ist. (Diese Lehre kann jeder nach Gutdünken widerlegen, beweisen oder beides.) Und weil er sich teilweise echter wissenschaftlicher Methoden bedient, um seine spinnerten Theorien, die eigentlich Beobachtungen sind, zu erklären, muß man gleichzeitig lachen, aufpassen und staunen. Es ist wie bei Douglas Addams' Unendlichem Unwahrscheinlichkeitsdrive, mit dem die „Heart of Gold“ durch die Galaxis fliegt und der auf „Erratik“ basiert: Das Unwahrscheinliche ist genauso wahr wie das Logische. Jenni Zylka
Galerie berlintokyo, Rosenthaler Straße 38. Heute: Pressekonferenz zur Veröffentlichung des Statusberichts 1998 – Erratik Institut Berlin; 21.11.: Finissage – Salute the Eighties – Party (Videos/Musik/ Tanz). Öffnungszeiten immer 16 bis 19 Uhr, Abendveranstaltungen ab 22 Uhr.
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