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Gedichtetes Leid ist halbes Leid Von Susanne Fischer

Freund Hein ist angeblich ein großer Gleichmacher. Das gilt aber nur für die, die keine guten Freunde haben. Gute Freunde rufen einem nämlich etwas Persönliches ins Grab nach, so wie sie uns zu Lebzeiten mit ihren selbstgehäkelten Teddybären zum Geburtstag erfreut haben. Und da inzwischen alles erlaubt ist, reimen sie tapfer und wie sie's verstehen: „Dein Leben war leicht und schwer wie der Strand und das Meer.“ Ähäm. Vielleicht haben der derart Verunglimpfte und sein dichtendes Klageweib einmal einen gemeinsamen Urlaub an der See verbracht? Kamen ins Sinnieren? „Du, also ich finde irgendwie, Dein Leben ist so leicht wie der Strand da.“ „Gar nicht! Mein Leben ist schwer! Schwer wie das Meer! So!“

Und das hat er nun davon. In meiner Provinzzeitung finden sich aber auch lange poetische Nachrufe, deren Spitzenstellen zum Nachdenken anregen: „Jetzt bist du tot, was sollen wir machen? Wir können nicht denken, wir können nicht lachen.“ Ja. Was würde der liebe Verstorbene wohl anraten, wo nicht mehr gedacht und gelacht werden kann? Saufen, singen, koksen? Könnte er noch hören, würde er sich vielleicht dafür bedanken, daß man ihn auf seinen jenseitigen Zustand hingewiesen hat. Eigentlich wollte er am Sonnabend noch Fußballgucken gehen, aber jetzt weiß er wenigstens, daß es dafür zu spät ist.

Mein Favorit unter den Totenkaspergesängen lautet allerdings: „Jetzt bist du tot, du lieber Chaot!“ Wenn man bedenkt, daß der so angedichtete reizende Wahnsinnige bei einem tollwütigen Überholversuch sein Automobil und sich zerlegt hat, außerdem aber noch einen Unbeteiligten beinahe mit in den PS-Himmel geschleppt hätte, möchte man fast „Gottseidank!“ darunterschreiben. Auch wenn sein „Hasi“ weiß und öffentlich kundtut, daß er auf dem Heimweg zu ihr und in Gedanken eigentlich schon angekommen war. Vielleicht hätte er gar nicht erst losfahren, sondern den ganzen Heimweg, einschließlich Überholmanöver, im Kopf erledigen sollen. Ja, hätte der liebe Chaot, das kleine Schusselchen, sein Auto verlegt gehabt, müßte er jetzt nicht solche Reime zu seinem Ableben verkraften.

Ohne Reim kann immer noch einiges schiefgehen. „Nach langer, schwerer, mit großer Geduld ertragener Krankheit sind wir sehr traurig über den Tod von Opa Meier“ – so geht es natürlich auch nicht. Vielleicht in Zukunft: „Du warst krank / viel zu lang / das war schwer / wie das Meer / für uns sehr“? Oder: „Deine Krankheit war zu doll / das war für uns nicht so toll“?

Wer aber schützt uns vor unseren poetisch veranlagten Freunden am Tage unseres Heimgangs? Wir selbst. Wir hinterlegen unser Todesgedicht beim Notar. „(Falls du einmal sterben willst / oder deinen Liebsten killst / auf jeden Fall, das ist doch klar / hilft dir gerne dein Notar“) Wer von den Hinterbliebenen es wagt, mir ein handgewebtes Poem nachzuwerfen, wird enterbt und muß meinen Sarg in Laubsägearbeit herstellen. Und folglich wird in meiner Todesanzeige stehen: „Nun ist sie völlig hin, die alte –“ Weiter verrate ich es noch nicht. Vielleicht schreibe ich nämlich doch lieber: „Jetzt bin ich tot, was soll ich machen?“ Denn das ist ja wohl die Frage aller Fragen.

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