Eine kleine graue Republique

■ Neues von linken Regierungszeitungen: Mit Hilfe der regierenden Sozialisten enstand in Frankreich eine Zeitung, die "politisch inkorrekt" sein wollte, aber ein Parteiblatt geworden ist

La République nennt sich das Blättchen stolz. Man will sich wohl nicht lumpen lassen, angesichts der vielen anderen hehren Prinzipien, die man an den französischen Kiosken kaufen kann, wo die Blätter Namen tragen wie „Befreiung“ (Libération), „Menschlichkeit“ (Humanité) und Marianne.

Seit Dienstag ist la République, mit vollem Namen le quotidien de la République, 24seitig auf dem Markt. Sie hat zwar keinen potenten Verlag im Rücken, aber einen bekannten Gründer und Herausgeber: Henri Emmanuelli, der dank seiner Vergangenheit als prominenter Politiker der Sozialistischen Partei über eine große Lobby verfügt. Jetzt verspricht er, den ein Parteispendenverfahren für zwei Jahre politisch außer Gefecht gesetzt hat, eine „politisch unkorrekte“ und „unabhängige“ Zeitung zu machen, die linke LeserInnen von der Mitte bis zu den Extremen ansprechen soll.

13 Tageszeitungsgründungen konnte man in den letzten 25 Jahren in Frankreich erleben, 2 der Blätter existieren noch. Trotz der trüben Aussichten beobachteten die KollegInnen der Printmedien die Vorbereitungen für la République mit neugierigem Interesse. Viele von ihnen versuchen schon lange vergeblich, ihre niedrigen Auflagen zu erhöhen und die meist defizitären Verlagsbilanzen aufzubessern. Libération etwa, in den 70ern als unabhängiges Organ der 68er-Linken gegründet und später an einen Konzern verkauft, kämpft sich seit Jahren vergeblich an der 200.000-Grenze ab. Humanité, immer noch das Parteiblatt der Kommunisten, schafft es schon lange nicht mehr, an die 100.000 heranzukommen. Das Boulevardblatt France-Soir hat gerade aufwendig, aber erfolglos Format und Layout geändert. Auch das konservative Flaggschiff Figaro kommt nicht aus dem Dümpeln unterhalb von 300.000 heraus. Bloß die nationale Sport-Tageszeitung L'Équipe sowie ein paar Regionalzeitungen gewinnen Leser. Und der seriösen Le Monde gelingt es weiterhin, täglich eine halbe Million Exemplare zu verkaufen.

Das traurige Bild hängt mit einigen Besonderheiten zusammen: Die Franzosen sind keine besonders eifrigen Tageszeitungsleser, weniger als halb so hoch wie in Deutschland ist der Bevölkerungsanteil, der sich täglich eine Zeitung leistet. Und jene, die es tun, kaufen sie sich zumeist am Kiosk und nicht per Abo, was allein den Verlagen sichere Einnahmen garantiert.

Trotz der Tristesse hatte la République eine Ersttagsauflage von 100.000 Exemplaren – wohl vor allem aufgrund der kostenlosen Werbung in den Konkurrenzblättern, denn für Reklame gab man keinen Franc aus. Was die Zukunft angeht, ist Emmanuelli bescheidener. Mit 30.000 Exemplaren, davon 5.000 im Abonnement, könne die Zeitung leben, meint der mehrfache Ex-Minister, Ex-Schatzmeister und Ex-Chef der Sozialisten.

Dabei hat er das Risiko kalkulierbar gehalten: Nur 30 Journalisten beschäftigt man, keine bekannten Gesichter sind darunter. 10 Millionen Franc (knapp 3 Millionen Mark) – davon 3 Millionen aus den Parteikassen – standen zur Verfügung. Dem Blatt ist der Sparkurs von der ersten Nummer an anzusehen. Die Zeitung ist kleinformatig, auf sehr grauem Papier gedruckt und bietet zu zahlreichen Themen bloß Agenturtextexte. Die Fotos stammen alle von derselben Agentur und sind meist viel zu klein reproduziert. Und man liefert keine Eigenrecherche, die zum Weiterlesen einlädt. Daß die für eine langfristige Finanzierung unvermeidlichen Anzeigen fehlen, wird die LeserInnen vermutlich nicht stören.

Schwerer wiegt, daß die angekündigte Bereicherung der Diskussion fehlt. Bereits die erste Ausgabe zeigt deutlich, woher der politische Wind weht: Vier MinisterInnen kommen zu Wort. Alle vier, darunter Premierminister Lionel Jospin, sind Sozialisten. Von den anderen linken KoalitionspartnerInnen, von außerparlamentarischen Kräften keine Spur.

Neben einer klassischen Themen- und Bilderauswahl springt eine geradezu sexistische Personenpräferenz ins Auge: Männer belegen fast den kompletten Platz – als Interviewte, als Fotografierte und als Autoren. Die (seit wenigen Jahren mit einer Frauenquote ausgestattete) PS scheint sich so mit la République vor allem einen „Transmissionsriemen“ verschafft zu haben, den Emmanuelli angeblich nicht gewollt hat. Aber wie lange das währen kann, ist seit Dienstag Gegenstand von Wetten in Paris. Die Prognosen für die Überlebenszeit von la République reichen von einigen Tagen bis zu mehreren Monaten. Und im nächsten Jahr darf Emmanuelli ohnehin wieder für ein politisches Amt kandidieren. Dorothea Hahn