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Der Abgrund von Stechmücke Erika

■ Wunderbar windschiefe Gestalten im Hochgebirge des Lebens: Die Bildromane von Bernd Pfarr sind in gebündelter Form erschienen

Sind es Bilder mit Text? Handelt es sich um Geschichten mit Illustration? Schwer zu sagen. Mit den Episoden um den Büroangestellten Sondermann im Satiremagazin „Titanic“ wurde Bernd Pfarr berühmt. Mittlerweile hat er sich von dieser Gestalt nebst zugehörigem Chef emanzipiert und ein ganzes Universum windschiefer Gegenstände und komischer, trauriger Figuren geschaffen, die alle so ihre Probleme haben, das Leben in den Griff zu bekommen. Denn das ist schwer, in Pfarrs tückischer Welt, in der ein grauer Herr beispielsweise den Namen Stefan Pölz trägt. Stundenlang starrt er in einen leeren Karton, nur um schließlich festzustellen, daß das tatsächlich „so unwahrscheinlich dröge ist, wie schon immer gemunkelt wurde“. Ein anderer Mann auf einem expressionistisch wilden Gemälde heißt schlicht Bertram. Um ein Gefühl für den zarten Bauch einer zukünftigen Geliebten zu entwickeln, streichelt er schon einmal erwartungsfroh sein Sofakissen. Auch Tiere sind im Pfarr-Universum häufig gleichberechtigte Handlungsträger, und auch mythologische Gestalten führen ein Leben, das sich von dem eines Paul Schölle oder Dieter Forch nicht wesentlich unterscheidet. Theseus sieht man alterssenil im Bett liegen. Ein gewaltiges Wollknäuel – übriggeblieben aus dem Labyrinth des Minotaurus – liegt auf dem Nachttisch, es dient ihm dazu, aufs Klo zu finden. Gott ist bei Pfarr naturgemäß ein alter Mann mit Bart, der TNT für den Weltuntergang kauft. Bedeutender allerdings ist der Yeti. Mit akkuratem Haarbüschel und mächtigen Zähnen steht er einsam im Hochgebige und feudelt den K2. Kein Wunder, daß Wanderer mit dreckigen Schuhen als vermißt zu betrachten sind.

Pfarr schafft es immer wieder, das Drama eines ganzen Lebens in einem einzigen Bild zu erzählen. Die Texte dazu sind so abgrundtief, daß sie als abgeschlossene Kürzestromane durchaus auch für sich bestehen könnten. Aber erst aus der Konfrontation von Bild und Kommentar ensteht die trockene, präzise Pfarr-Komik. Der Text zum Mücken-Bild geht so: „Der fade Geschmack von Weißkohl und Tofu ließ Stechmücke Erika stark an ihrer Entscheidung zweifeln, aus ethischen Gründen auf das Blutsaugen zu verzichten.“

Die schönsten Bildromane von Pfarr – viele davon sind bereits im Zeit-Magazin erschienen – gibt es jetzt gebündelt und gebunden in einem schönen Band bei Zweitausendeins nebst Vorwort von F. W. Bernstein. Das ist wirklich sehr lobenswert. Man kann es guten Freunden zu Weihnachten schenken oder auch selbst behalten. Oder man kauft gleich zwei. Auch kein Fehler. Jörg Magenau

Bernd Pfarr: „Eines Tages war Zeus das Blitzeschleudern leid“. Verlag Zweitausendeins, Frankfurt/Main 1998, 144 Seiten, 44 DM

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