Irrlichternde Punks und Killer wider Willen

Der junge osteuropäische Film, der in Cottbus nun zum achten Mal zu Festivalehren kam, spiegelt das Nachbeben des großen Umbruchs wider: voller Ironie und mit der Frage „Wie überleben?“ beschäftigt. Große Hoffnungen machen uns die Filmemacher nicht  ■ Von Bernd Buder

Nadica und ihre beiden Freunde haben Glück gehabt. Am Ende der jugoslawischen Komödie „Drei Palmen für zwei Punks und zwei Mädchen“ sitzen sie an einem Südseestrand und laben sich an leckeren Cocktails statt überteuertem Sliwowitz. Das Geld für die weite Reise stammt aus einem Bankraub, erbeutet 1993, dem Jahr der Hyperinflation in Serbien. Die einzigen Geschäfte, die damals boomten, waren der Schwarzmarkt und das private Bankwesen. Dubiose Geldvermehrer lockten mit unrealistischen Versprechungen, die so geköderten Kunden überwiesen Beträge, die sie nie wiedersahen. Klar, daß die Helden von Radiovoje Andrićs Film ihre Aktion unter diesen Umständen nicht als ungesetzlich betrachten. Überleben muß schließlich jeder.

Die meisten der Arbeiten, die auf dem diesjährigen Festival des Jungen Osteuropäischen Films in Cottbus zu sehen waren, beschäftigten sich mit dem „Wie?“ dieses Überlebens. Große Hoffnungen machen uns die Filmemacher dabei nicht. Der junge Marat beispielsweise, Protagonist der kasachisch-französischen Koproduktion „Killer“, gerät in die Mühlen des Schicksals, als er einen Autounfall mit einem Mafiaboß verschuldet.

Um den Schaden zu begleichen, nimmt er gegen Wucherzinsen einen Kredit auf, kann das Geld aber nicht mehr zurückzahlen. Als Auswieg bietet man ihm einen Auftragsmord an. Dareshan Omirbajew hat seine Ballade vom Mörder wider Willen mit kalkulierter Kälte in einer einfachen, kraftvollen Bildsprache inszeniert. Es wird fast gar nicht gesprochen, stoisch versucht Marat, auf das Unheil zu reagieren, das ihn mit uhrwerkartiger Präzision in die Enge treibt. Kein Lachen, kein Wort zuviel: Wo es nur noch um bloße Existenzerhaltung geht, gibt es keinen Platz mehr für Emotionen.

„Killer“ handelt von der Abwesenheit jeglicher Handlungsspielräume für diejenigen, die sich im Zuge der Darwinisierung der postsozialistischen Geselschaften nicht durchzusetzen vermochten. Der Beschreibung eines von Normalität und Würde entrückten Alltags widmet sich auch der bulgarische Wettbewerbsbeitrag „Wagner“. Andrej Slabakow greift für die Geschichte der jungen Arbeiterin Helena, die ihr neues Zuhause, einen tristen Wohnblock am Rande der Stadt, erkundet, tief in die Asservatenkammer skurriler Details. Federhut und Boa gehören dazu, verrostete Wasserhähne, eine kerzenbewehrte Totenmesse in der dritten Etage sowie die Milchkuh im Hausflur und die aggressive Stadtstreichermeute im Kellergeschoß.

Viele skurrile Typen bevölkern die Leinwand bei „Wagner“, wie überhaupt erstaunlich häufig Außenseiter bemüht werden, um die Implosion der Gesellschaft zu illustrieren: schießwütige Mafiosi, glatzköpfige Gottessucher und irrlichternde Punks, ausgestattet mit allerlei lustigen Sonnenbrillen, Lederkitteln und riesigen Schnapsflaschen, überdrehte Helden, die sich in der klaustrophobischen Enge von Ruinenlandschaften im Kreise drehen und schlußendlich verzweifeln. Doch seltsam verstaubt und bieder wirken die Dekors, wenig mitreißend die auf verrückt getrimmten Personen, oft Abziehbilder aus der Geschichte des Films, von Tarkowski bis Tarantino.

Wo die anhaltende Wirkung des künstlerisch Überhöhten genauso ausbleibt wie die mitreißenden Effekte intelligenter Provokation, da erfrischten einmal mehr die zahlreich vertretenen einfachen Geschichten. Der Kurzfilm „Checking Out“ zum Beispiel, einer der wenigen Filme, in denen es nicht ausschließlich um die Situation junger Leute ging. Eindringlich erzählt Carl Biörsmark die Geschichte einer russischen Schauspielerin, die in den 60er Jahren in Riga eine Arbeit aufnahm. Heute lebt sie ein armseliges Leben, gibt zwei Drittel ihrer Rente für die Miete aus.

In „Checking Out“ spielt sie ihre letzte große Traumrolle: wenigstens noch einmal eine Nacht Mensch sein, in einem warmen Hotel wohnen und am Ende des Tages ein üppiges Abendessen einnehmen. Halbdokumentarisch auch Larissa Sadilowas Debutfilm „Zum Geburts-Tag“, in dem sie das Leben in einer russischen Geburtsklinik beschreibt. Sadilowa konzentriert sich auf die zwischenmenschlichen Beziehungen, auf die Gespräche zwischen den Frauen und die Begegnungen mit den Vätern. Ein weit über sein eigentliches Thema hinausweisendes Portrait eines Alltags, der zwischen größter nervlicher Anspannung und menschlicher Wärme, zwischen Existenzängsten und Erwartung pendelt.

Mit der kirgisisch-französischen Koproduktion „Beschkempir – Der Adoptivsohn“ erhielt den mit 12.000 Mark dotierten Hauptpreis des Cottbuser Festivals ein Film, dessen Regisseur bewußt auf jegliche künstlerische Schnörkel verzichtete. Karg inszeniert, in wunderschönen Bildern fotografiert, entwickelt sich Aktan Abdikalikows Geschichte des Azate, der nach einer glücklich verlebten Kindheit erfährt, daß er ein Adoptivkind ist und von da an als in sich gekehrter Außenseiter lebt.

Bissig gab sich der tschechische Regisseur Petr Zelenka, der mit seiner augenzwinkernden Komödie „Die Knöpfler“ von sich reden machte. Im anschließenden Gespräch berichtete Zelenka über eine Gruppe tschechischer Filmemacher, die sich entschlossen habe, keine Filme mehr zu drehen, da alle möglichen Filme schon gemacht seien und es nicht mehr möglich sei, etwas Neues zu erfinden. Dem ist nicht zuzustimmen – solange Geschichten erzählt werden wie in „Beschkempir“ oder „Killer“. Auch mit den Mitteln des traditionellen Kinos.