: "Ich scherze nur zum Teil"
■ Das Guggenheim Museum entwickelte sich von einer Schatzkammer für klassische Moderne zum expandierenden Wirtschaftsunternehmen. Ein Gespräch mit Thomas Krens, dem Direktor des New Yorker Hauptsitzes des Guggenhe
taz: Herr Krens, wie stehen Sie zur Kritik, Sie hätten das Guggenheim Museum zum profitorientierten internationalen Kommerzmuseum ausgebaut?
Thomas Krens: Diese Kritik scheint mir von Leuten zu stammen, die über ihre eigenen Gefühle im unklaren sind und nicht wissen, was die Begriffe Kunst und Kunstwelt überhaupt bedeuten sollen. Denn was heißt das schon, „kommerziell“? Michelangelo hatte auch ein kommerzielles Verhältnis zu Papst Julius II. Er hat ununterbrochen darum gestritten, wieviel Geld er wofür bekommt. Außerdem hat er sich sogar als Künstler bei seiner Arbeit dreinreden lassen. Wenn der Patron kam und das Werk sexyer wollte, dann hat er es eben sexyer gemalt, und das Ergebnis wurde dadurch vielleicht sogar noch toller. Also der Vorwurf, wir wären kommerziell, ist einfach lächerlich.
Trotzdem ist das Museum unter Ihrer Führung enorm expandiert, und es wächst weiter. Gibt es eine globale Strategie, die Sie dabei verfolgen?
Das Guggenheim ist eine Kulturinstitution, und es entwickelt sich, wie andere Institutionen auch, eben weiter. Wir hatten das Glück, in den frühen 70er Jahren mit der Übernahme der Peggy Guggenheim Collection in Italien mit einem Schlag international zu werden. Wir haben daraufhin andere internationale Projekte angedacht, etwa in Salzburg und in Wien, und schließlich haben wir das Museum in Bilbao gebaut. Ein Glücksfall.
Ein Museum, das ein Jahr lang in aller Munde war, und das im ersten Jahr seines Bestehens mit 1,4 Millionen Besuchern mehr als doppelt so viele Gäste empfangen konnte wie erhofft. Ist Frank O. Gehrys Titan-Gebäude der neue Guggenheim-Prototyp für den Rest der Welt?
Der Bau beinhaltet die Kritik am Bestehenden. Es wird oft gesagt, das Kunstmuseum im allgemeinen sei die Idee der Kunstenzyklopädie in einer Hülle des 19. Jahrhunderts. Wir haben uns aber nicht gefragt, was ein Museum jetzt, sondern was es in Zukunft können muß. Die Antwort lautet: Es sollte mit den verschiedensten Begabungen ausgerüstet sein. Es muß zum Beispiel den Bedürfnissen zeitgenössischer Künstler entsprechen, die mitunter in seltsamen Kombinationen von Performance, Theater, Set-Design arbeiten. Es muß Großformatiges wie die Skulpturen Richard Serras aufnehmen können. Es muß also insgesamt eine kommunikative, flexible Angelegenheit sein.
Durch das Museum in Bilbao wälzen sich ganze Familienclans, vom Kleinkind bis zum Uropa. Will das Guggenheim Kunst allen Leuten näherbringen?
Ja, ich denke, das ist Teil unserer Strategie. Wir mußten im vergangenen Sommer daheim in New York eine Menge Kritik aus Kunstkreisen einstecken, weil wir eine Motorradausstellung im Haus hatten. Doch ich habe nie im Leben begeistertere Ausstellungsbesucher gesehen. Von Großmüttern bis zu Kleinkindern. Also, wer übt hier Kritik? Wer kann die Frage beantworten, für wen all diese Kultur- und Kunstinstitutionen eigentlich da sind. Sind sie nur für die Eingeweihten? Für Kuratoren? Für Künstler? Für Kunstgeschichtler? Ich behaupte, davon gibt es insgesamt vielleicht 10.000 auf der ganzen Welt. Wir haben allein in New York über eine Million Besucher pro Jahr. Wer sind also diese restlichen 990.000 Leute? Das sind Menschen, die eine weiterbildende Erfahrung suchen, die lernen wollen, in einer anderen Sprache, nämlich in der der Kunst, zu denken. Mit anderen Worten: Diese Leute zu erreichen ist genau das, was ein Museum können soll.
All diese vielen Menschen begeben sich dann auch brav in die Museumsshops und kaufen viele, viele Mitbringsel ein. Wie wichtig ist Merchandising für eine Institution wie das Guggenheim?
Um die Wahrheit zu sagen, mir wäre es auch sehr gelegen, wenn plötzlich die Regierung oder ein Haufen großartiger Mäzene daherkäme, um uns zu finanzieren. Aber wir besitzen nun mal keinen Stiftungsschatz wie die Getty-Stiftung. Deshalb sind all diese sogenannten „unterstützenden kommerziellen Aktivitäten“ notwendig, und darüber zu klagen ist ungefähr so sinnvoll, wie sich über das Wetter zu ärgern. Ich sage, wenn du in einer Gegend lebst, in der dir der ewig graue Nebel nicht behagt, dann mußt du eben auswandern.
Oder vom Gesparten ein Solarium kaufen. Wie legt das Guggenheim sein verdientes Geld an?
Die Wahrheit ist doch die: Um unsere Ausstellungen finanzieren zu können, brauchen wir finanzielle Ressourcen. Wo sollen die denn herkommen? Wir müssen also unser Geld selbst verdienen, und ehrlich gesagt hat das auch große Vorteile. Denn wenn dieser Antrieb wegfällt, wird die Angelegenheit ein wenig kommunistisch, und wer abgeschottet im wohlfinanzierten Elfenbeinturm sitzt, dem kommen keine fortschrittlichen Gedanken.
Kommt dieses kommerzielle Denken eigentlich auch den Künstlern selbst zugute? Unterstützt das Guggenheim den Nachwuchs?
Wir wollen Top-Weltklassequalität bieten. Viele unserer Aktivitäten unterstützen junge Künstler. Das ist eine Investition in die Zukunft, aber nicht unser vorrangiges Interesse. Wir haben in letzter Zeit viel mehr große Projekte mit chinesischer und afrikanischer Kunst gemacht, wir interessieren uns auch für Design und Architektur, wir wollen anderen Kulturkreisen näherkommen und untereinander vermitteln. Der Diskurs von Internationalität, der ist zur Zeit das Wichtigste für uns.
Gibt es in diesem Sinne bereits geplante Bilbao-Nachfolgeprojekte? Eine Filiale in Berlin wurde in Kooperation mit der Deutschen Bank bereits eröffnet. Kommen jetzt Museen in Asien, Afrika, Südamerika?
Das könnte schon sein, aber ich werde an dieser Stelle keine Ankündigungen machen. Es könnte durchaus auch ein Gebäude in Berlin geben, wenn die Rahmenbedingungen passen. Doch ich schaue mich keineswegs aktiv nach neuen Stützpunkten um, denn so ein Projekt kostet und ist extrem kräfteraubend. Aber es sprechen viele Politiker bei uns vor, die sich für ihre Region den sogenannten „Bilbao-Effekt“ wünschen. Wenn sich eine besonders verlockende Gelegenheit bietet, werde ich also nicht nein sagen. Unser wichtigster nächster Schritt ist allerdings das MassMoCA, das Museum für Moderne Kunst in Massachusetts. Dort werden die 28 Gebäude einer alten Spinnerei von den verschiedensten Architekten zu einem Museumsdorf umgebaut. Wir holen dazu Vorschläge von Frank O. Gehry, Philip Johnson, Hans Hollein und Jean Nouvel ein, um nur ein paar zu nennen.
Das hört sich doch ein wenig nach der im Vorjahr eröffneten Getty-Kunststadt in Los Angeles an.
Davon ist es ungefähr so weit entfernt, wie man sich nur vorstellen kann. Es wird eine experimentelle Angelegenheit, die den Luxus von Zeit und Raum hat. Von 100.000 Quadratmetern, um präzise zu sein.
Wie wird sich die Institution Guggenheim im Jahr 2020 präsentieren? Wird sie dann eine weltumspannende Museumskette sein, durch die sie ruckzuck ihre Ausstellungen schleust?
Was für ein furchterregender Gedanke! Ich habe keine Ahnung.
Warum nicht? Sie sind doch der Chef.
Ich scherze nur zum Teil. Ich selbst kann mir vorstellen, noch ein einzelnes großes Projekt durchzuziehen. Wichtiger ist es aber, die Guggenheim-Finanzierung auf sichere Beine zu stellen, sich sozusagen um die Zukunft der Familie zu kümmern. Wenn wir in den nächsten drei bis vier Jahren etwa 150 Millionen Dollar Kapital machen, wenn wir also insgesamt ein Polster von 200 Millionen Dollar anhäufen, dann sind wir künftig von politischem und auch von kommerziellem Druck unabhängig. Interview: Ute Woltron
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