: Ein feuchtes Kellerloch ist für viele die Endstation
■ Kosovo-Flüchtlinge in Bosnien haben keine Hoffnung mehr auf Weiterreise in den Westen
Sarajevo (taz) – Der Raum in der ehemaligen Coca-Cola-Fabrik in Hadzici bei Sarajevo ist nicht geheizt. Unter den eiskalten Kacheln des Bodens rauscht ein Abwasserkanal. Die Menschen sitzen auf Matrazen, haben sich in Decken eingewickelt und starren vor sich hin. Nur das ständige Husten einer älteren Frau unterbricht die Stille. Auch ein Kleinkind hustet, das eng an die Mutter geschmiegt schließlich in den Schlaf gefunden hat.
In diesem Kellerraum leben seit mehr als zwei Monaten Flüchtlinge aus dem Kosovo, meist Menschen aus der Region um Przren und Orahovac, die im August oder September vor den serbischen Sicherheitskräfte hierher geflohen sind. Für die in der oberen Fabrikhalle lebenden Flüchtlinge sind die Bedingungen etwas besser. Hier wurden kürzlich einige Öfen installiert und Feldbetten aufgestellt. Die einzelnen Familien haben mit Decken und Plastikbahnen kleine Zimmer gebaut, um sich etwas Privatheit zu sichern.
Mehr als 1.500 Menschen sind hier in diesem Flüchtlingslager bei Sarajevo untergebracht. „Immerhin leben wir noch, wir sind dankbar, daß wir in Bosnien aufgenommen wurden. Aber solche Umstände wie in diesem Lager haben wir nicht erwartet.“ Der Mann, der dies sagt, hat 15 Jahre in Deutschland gearbeitet und mit dem Ersparten vor wenigen Jahren ein Haus bei Peja (Pec) gebaut. „Das ist jetzt zerstört, die Serben haben es ausgeraubt und niedergebrannt.“ Sein Leben spielt sich jetzt auf acht Quadratmetern ab, die er mit seiner Frau und zwei halbwüchsigen Söhnen teilt – in einem Raum, in dem noch acht Familien mit ihren Kindern untergebracht sind. Die Luft ist zum Schneiden, Duschen gibt es nicht, draußen sind Toiletten aufgestellt.
Alle hier in diesem Raum haben noch vor wenigen Wochen gehofft, nach Westeuropa weiterreisen zu können. Doch die Hoffnungen, Visa nach Österreich oder Deutschland zu erhalten, wurden enttäuscht. Die Botschaften geben die begehrten Dokumente nicht aus, auch nicht für jene Kosovo- Albaner, die sich gar nicht registrieren ließen, wahrscheinlich mehr als 10.000 Personen. 4.000 bis 5.000 Mark koste es pro Person, sich den Schlepperorganisationen anzuvertrauen, wird heimlich bedeutet. Für die hier Anwesenden ein nicht zu bezahlender Betrag. Denn ihnen wurde die restliche Barschaft von den Zöllnern an der serbischen Grenze abgenommen. Zurück nach Kosovo wollen die meisten auch nicht. Sie haben trotz der OSZE-Mission Angst vor den Übergriffen serbischer Polizei.
„Alle verfolgten Menschen haben ein Recht auf Asyl“, steht auf einem Plakat im Büro des UNHCR, der UN-Flüchtlingsorganisation in Sarajevo. Seit Beginn der Fluchtbewegung aus dem Kosovo im Sommer dieses Jahres kümmern sich die Mitarbeiter um diese Menschen. „Wir können aber nur in Zusammenarbeit mit den örtlichen Behörden aktiv werden“, sagt die Sprecherin Ariane Quentier. „Bosnien-Herzegowina ist ein souveräner Staat, damit ein potentielles Aufnahmeland.“
Jedoch konzentrieren sich die Flüchtlinge nur in den bosniakisch kontrollierten Gebieten in Bosnien-Herzegowina, die serbisch kontrollierten Gebiete scheiden als Aufnahmegebiet aus. Auch die Kroaten blockieren die Flüchtlinge. Ein leerstehendes Flüchtlingsheim im zentralbosnischen Nova Bila würde von den Behörden einfach nicht zur Verfügung gestellt, sagt Ariane Quentier. Verständlich sei noch eher, daß die bosnisch-muslimischen Behörden nur zögerlich hülfen, müßten gerade die Bosniaken die eigenen Rückkehrer verkraften. Die bosnisch-muslimischen Behörden drängten auch darauf, die Flüchtlinge in andere Länder zu bringen. „So kommen wir an andere Gebäude nur schwer heran. Wir könnten weit mehr Flüchtlinge versorgen, an Geld fehlt es nicht.“
Die Flüchtlinge aus dem Kosovo werden ein zweites Mal Opfer – diesmal der widerstreitenden Interessen. Die westlichen Länder wollen niemanden aufnehmen, die Bosniaken wollen die Albaner möglichst schnell wieder loswerden. Für Bekim, der von sich sagt, er sei ein Kämpfer der kosovo-albanischen Befreiungsarmee UCK, ist dabei auch ein positives Zeichen gesetzt: „Der Westen will nicht bei den Vertreibungen im Kosovo mitmachen. Nähme man alle Flüchtlinge auf, würden Hundertausende nach dem Westen fliehen, und damit hätten die Serben ihr Ziel erreicht, Kosovo von den Albanern zu säubern.“ Er sitzt lieber in dem Flüchtlingslager und hofft, bald nach Albanien zu gelangen. Dort will er sich wieder den bewaffneten Kräften der Kosovo-Albaner anschließen. „Jetzt wird eine richtige Befreiungsarmee aufgebaut.“
Für die Menschen im kalten und feuchten Keller der Cola-Fabrik ist dies nur ein schwacher Trost. Sie brauchen jetzt Hilfe. Die alte Frau hustet und hustet, die Kinder schreien angesichts der Kälte. „Bitte helfen Sie uns, sonst sterben bald einige hier“, sagt eine Frau leise. Sie weint. Erich Rathfelder
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