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Tausende werden noch vermißt

Das Ausmaß der Katastrophe, die der Hurrikan „Mitch“ in Zentralamerika hinterlassen hat, wird nie ganz bekanntwerden. Dörfer sind verschwunden, Krankheiten breiten sich aus  ■ Von Toni Keppeler

San Salvador (taz) – Wie viele Tote gab es nun wirklich, und welche Schäden hat der Hurrikan „Mitch“ tatsächlich in Zentralamerika angerichtet? Man wird es kaum je erfahren. Wie zählt man die Toten eines Dorfes, das gänzlich weggespült wurde, wenn niemand weiß, wie viele Menschen vorher dort wohnten? Und wie berechnet man den Wert einer Hütte aus Abfallholz, Karton und Wellblech? Die offiziell veröffentlichten Zahlen sind nicht mehr als Näherungswerte. Danach sind in der Folge des Unwetters rund 11.000 Menschen gestorben. Etwa 15.000 werden noch vermißt. Der materielle Schaden wird grob auf 6 Milliarden US-Dollar geschätzt.

All das kann sich in den nächsten Tagen und Wochen noch ändern. Denn aus dem Nordosten von Honduras und Nicaragua gibt es noch immer keine verläßlichen Nachrichten. Und die Zahl der Toten wird mit Sicherheit noch steigen. Die Seuchen in den Notunterkünften beginnen erst sich auszubreiten. In allen vier betroffenen Ländern gab es bereits Cholera- Tote. In der Gegend von Chinandega im Nordwesten Nicaraguas starben schon mindestens vier Menschen an der von Ratten übertragenen Krankheit Leptospirose, die sich in hohem Fieber, Erbrechen und Lungenblutungen äußert. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums gibt es zudem 150 Fälle von Cholera, 400 Malariakranke und 422 am Denguefieber erkrankte Patienten.

Die tatsächlichen Zahlen dürften in allen genannten Ländern deutlich höher sein. Und Zehntausende von Menschen mit Bindehautentzündung und Hunderttausende mit Durchfall oder Erkältungen werden schon lange von keiner Behörde mehr gezählt.

Allein in Honduras (6.600 Tote und 8.000 Verschwundene) werden die Schäden an Gebäuden und Infrastruktur auf über 3 Milliarden Dollar veranschlagt. In Nicaragua (4.000 Tote, 7.000 Verschwundene) geht man von 1,4 Milliarden Dollar aus, in El Salvador (je 250 Tote und Verschwundene) von 1,2 Milliarden. Für Guatemala (ebenfalls je 250 Tote und Verschwundene) liegt noch keine amtliche Schätzung vor. Die Schäden scheinen jedoch deutlich geringer zu sein als in den anderen drei Ländern.

Die Regierungen von Honduras und Nicaragua wollen angesichts der Krise ihren neoliberalen Wirtschaftskurs verschärfen. In Honduras soll beispielsweise die Privatisierung der staatlichen Telefongesellschaft Hondutel vorgezogen werden, obwohl dafür derzeit nicht viel Geld zu bekommen ist: Hondutel hat durch „Mitch“ Infrastrukturschäden von knapp einer halben Milliarde Dollar erlitten. Unter anderem wurde in Tegucigalpa das Hauptlager weggeschwemmt. Dutzende von Tonnen Glasfaserkabel, mit denen der Betrieb für ausländische Investoren attraktiv gemacht werden sollte, verschwanden im Schlamm.

Die Regierung unter Carlos Roberto Flores setzt beim Aufbauplan vor allem auf den relativ glimpflich davongekommenen Maquila-Sektor und auf die verheerend getroffenen großen Agrar-Exporteure von Bananen, Zuckerrohr, Ölpalmen, Melonen und Ananas. Die schon vor „Mitch“ im argen liegende Produktion von Grundnahrungsmitteln kommt in den Regierungsplänen nur am Rande vor.

Den Segen internationaler Finanzorganisationen haben die Regierungen. Michel Camdessus, Direktor des Internationalen Währungsfonds (IWF), hat die Katastrophenregion besichtigt und sagte abschließend am Dienstag in Managua, es gehe „nicht nur um Soforthilfe für den Wiederaufbau, sondern um den Aufbau eines neuen Landes“. Nach seinen Vorstellungen, versteht sich.

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