piwik no script img

Hypermoderne Müllabfuhr

■ Offener Plagiarismus und Second-order-Subversion: Vivacide, Game Gal und die Zen Faschisten machen sich im Maria über die vergeblichen Subversionsstrategien von Pop lustig

Die Bodysnatchers von 1956 waren üble Kadetten! Im Film „Invasion Of The Bodysnatchers“ kamen sie from outer space, saugten die Leute von der Erde aus und ließen entpersönlichte Hüllen zurück. Eine pessimistische Metapher, die von der Ernährung durch Wesenskerne handelt. Aber auch eine prima Parabel, die nur darauf wartet, von Künstlern auf andere Felder übertragen zu werden. Aussaugen, aus Zusammenhängen reißen, in andere Zusammenhänge schmeißen, fröhliche Resteverwertung – Formen möglicher Anschlußkommunikation liegen zuhauf auf der Straße, man muß sie nur aufheben.

Ein Abend im Dienste der Müllabfuhr also steht uns heute bevor, mit stadtbekannten Aktivisten wie den Zen Faschisten, Alec Empire und inzwischen dejayende Vollzeitnihilisten aus dem Super-Bierfront-Umfeld wie DJ M, Lobotomy und Plouty.

Industrie und Reste, da kennt sich vor allem einer aus, den wir wegen seiner Furcht vor urheberrechtlichen Mäkeleien nicht mit vollem Namen nennen wollen. Seine Band heißt Vivacide. „Wir benutzen offen Plagiarismus. Vivacide verwendet haargenau das Konzept von Culturecide.“ Ein Plagiieren der Plagiatoren also, denn Culturecide veröffentlichten in den späten Achtzigern eine LP, auf der Stücke bekannter Popstars den Hintergrund für ein vergnügtes Improvisieren mit Gitarre und Gesang bilden. U. a. wegen Bruce Springsteens „Born in the USA“ mußte die Culturecide-LP flugs eingestampft werden. Vivacide hängen das Plagiieren tief: „Es geht um den Zusammenprall von Samples aus stilistisch völlig unterschiedlichen Ursprüngen. Deren Herkunft soll aber immer klar erkennbar bleiben. Wir wollen uns auch über ernstgemeinte Subversionsstrategien zu Pop lustig machen. Andererseits: Wenn das einer nicht kapiert und ernst nimmt, finden wir das natürlich super.“ Am besten funktionierte Vivacide bislang, wenn vor Scooter-Videos, bei denen – logisch – oben rechts das Viva-Logo zu sehen ist, Majakowskis Proletkulttexte zitiert wurden.

Wir wissen nicht, ob Alec Empire die Idee des Bodysnatching eins zu eins geschlürft hat. Das Gerücht, daß Empire einen Koffer voller leicht verprollter und schwer lebensbejahender Elektroplatten dabei haben wird, hält sich aber hartnäckig. Ein Kurs, der wohl nur von DJ Ploutys Booty-House-Set getoppt wird – noch mehr Miami- Happy-Sound, noch mehr sinnloser Optimismus. Unter dem Namen Game Gal plant Empire außerdem einen Auftritt, bei dem er die Sounds von Spielzeug- und Billigcomputern an ihre Grenzen führen möchte.

Und die Zen Faschisten? Sie legten mit ihrer letzten Single „Rock 'n' Roll-Control“ eine dunkle, an Suicide erinnernde Instrumentalminiatur vor, die Minimalisierungstendenzen in der elektronischen Musik mit ihren Mitteln lehrreich und möglicherweise genrestiftend nachzeichnet. Nils Michaelis

22 Uhr, Maria am Ostbahnhof, Straße der Pariser Kommune 8/10

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen