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Hühneroogen in Sepia

■ Aus dem Ost-Epos vom "Laden" wurde ein langsames TV-Stück, das kein Stück langweilig ist. Die Solidargemeinschaft von Ost-Literatur und West-Fernsehen gelang (Teil 1: 20.45 Uhr, Arte)

„Jestatte, daß ick dir anspucke“, bittet Mutter Matt feierlich. „Des soll Glück bringen.“

Natürlich spuckt sie nicht richtig, doch Glück hat Mutter Matt (Dagmar Manzel) unzweifelhaft nötig. Just eröffnete sie in Bossdom/Lausitz einen Krämerladen. Mutter Matts erster Kunde ist ein Spielkamerad ihres Sohnes Esau und läßt anschreiben. Das Glück, so lehrt der Volksmund, ist ein Ochse und sucht seinesgleichen.

Erwin Strittmatters Trilogie „Der Laden“ ist ein um 1.000 Seiten langes Werk, das im Osten nahezu jeder Bücherleser verschlungen hat, während es im Westen fast unbekannt blieb – obwohl die Geschichte von den kleinen Leuten, deren Täume nicht wahr werden wollen, genausogut im Sauerland angesiedelt sein könnte. Nun erlebt der Stoff im Fernsehen so etwas wie die Gnade der späten Geburt. Gnade, weil das Projekt, die Trilogie zu verfilmen, nicht nur die zu Anfang der 90er Jahre erhobenen Stasi-Vorwürfe gegen den Autor überdauerte, das Hin und Her um die 11 Millionen Mark Finanzierung (die schließlich durch ORB, MDR und den geübten Griff in die Arte-Kasse sichergestellt wurde) und den Sendeplatz.

Drei Bände Lesefutter — drei Fernsehabende, ist das genug? Strittmatters „Laden“ ist eine tragikomische, auch autobiographische Sache und reich an versponnenen Bildern, die umzusetzen einige Arbeit an den Metaphern bereitet haben dürfte. Wie bewältigt Regisseur Jo Baier diese Arbeit? Nun, er tut zweierlei. Zum einen läßt er sich Zeit; zum anderen tritt er dezent hinter die Darsteller zurück. Die (u.a. Carmen Maja Antoni, Jörg Schüttauf) sind durch die Bank weg exzellent. „Der Laden“ ist nicht einfach nur prominent, sondern sogar passend besetzt. Allen voran Dagmar Manzel, als Mutter Matt ewig humpelnd wegen „Du weeßt schon, die Hühneroogen!“, und Martin Benrath in der Rolle des wunderlichen Großvaters von Esau.

Der Bäckerjunge und „hooche Schüler“ Esau Matt (Ole Brandmeyer als Kind, Bastian Trost und Arnd Klawitter als Erwachsener) ist das narrative Zentrum des „Ladens“, seine Lebensgeschichte von 1919 bis zum Anfang der fünfziger Jahre der rote Faden, an dem Zeiten und Menschen nicht vorgeführt, sondern geschildert werden. Große Erwartungen in kleinen Verhältnissen ergeben meist große Enttäuschungen. So kann Mutter Matt, die so gern eine gute Geschäftsfrau wäre, partout nicht rechnen, und für das Glanzvolle im Leben muß das „Modenmagazin“ oder ein neues „Kleed“ genügen.

Im Regentropfen spiegelt sich die Welt. Die Tragik erwächst daraus, daß sie dies nun einmal ohne Rücksicht auf die großen Erwartungen und kleinen Verhältnisse tut. Unglückliche Lieben, Naturgewalten, Eitelkeiten, Kriege, Vergewaltigung, Faschismus, vollendete und verhinderte Selbstmorde — der Gang der Dinge läßt in Bossdom nichts aus.

„Der Laden“ ist trotz aller Komik der Charaktere, schönen Lichtregie, Sepiatönung der Bilder (im ersten Teil) und ländlichen Ausstattungsfolkore eher bewegendes Panorama als drolliges Panoptikum. Wie ungemein traurig ist es, wieviel ungerichteter und ungerechter Kummer liegt darin, wenn Martin „Opa“ Benrath einmal seinen Schnauzer richtet, weil sein stotternder Sohn Phile vom Hof muß. Solcher Augenblicke sind viele in Jo Baiers „Laden“-Verfilmung, und in ihnen liegt das eigentlich Köstliche.

Zum Schluß: Das ARD-Projekt (Buch: Ulrich Plenzdorf) repräsentiert die verspätete Würdigung eines Lebenswerks. Als Erwin Strittmatter 1994 starb, war das der ARD keinen Nachruf wert. Ulrich Wickert hat sich später dafür entschuldigt. Das Ergebnis der nachträglichen Würdigung muß man gelungen nennen. Daß der Zuschauer letzteres mit Erstaunen, ja geradezu ungläubig konstatiert, sagt einiges über das Mißtrauen, das man der Solidargemeinschaft West-Fernsehen und Ost-Literatur entgegenbringt. Dabei wäre dieses Mißtrauen in Hinsicht auf die Sendemächtigen beinahe sadistisch befiedigt worden, wollten einige der ARD-Direktoren den Fernsehdreiteiler doch wegen zu hohen künstlerischen Anspruchs, sprich: zu niedriger Quote, in die Nachtecke abschieben.

Was unbedingt beleidigend ist: Das Öffentlich-Rechtliche muß sein Pubikum geistig für ziemlich minderbemittelt halten, wenn es befürchtet, daß drei stille und kluge Fernsehabende die Zuschauer überfordern könnten. Hier in der „Provinz“ langweilt man sich jedenfalls keine Minute. Anke Westphal

Ausstrahlungstermine auf Arte: Teil 1: heute 20.45; Teil 2: morgen 20.45; Teil 3: Di. 20.45 (dazu der Themenabend „Erwin Strittmatter – ein Dichter aus dem Volk“)

Ausstrahlungstermine in der ARD: Mi., 25.11., Fr., 27.11. und Do., 3.12. jeweils 21 Uhr

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