: Vom kasachischen Baikonur aus soll heute das erste Bauelement einer internationalen Raumstation ins All geschossen werden. Ein Konsortium aus 16 Ländern errichtet das teuerste Bauwerk der Geschichte. Damit „das Ding“ auch Sinn macht, heißt es, ein künftiger Industriepark im Orbit werde uns neue Materialien und Medikamente bescheren Von Peter Tautfest
Der geteilte Himmel
Meldung von General Akbar an Luke Skywalker: „Seltsames Gebilde in planetennaher Umlaufbahn voraus.“ „Das ist ein böses Insekt“, mutmaßt ein Adjutant. „Nein, das ist ein Stück Weltraumschrott, die Überreste einer himmelstürmenden Zivilisation.“
Was die aus ihrer fernen Galaxis in unsere Milchstraße verschlagenen Jedi-Ritter auf der Jagd nach dem bösen Darth Vader sehen würden, kämen sie Anfang des 21. Jahrhunderts dem kleinen, blauen Planeten Terra näher, weicht stark vom vorherrschenden intergalaktischen Design ab. Nix da planetengleich rotierendes Riesenrad oder windschlüpfriges Raumschiff mit schnittigem Bug und ausladendem Heck. Statt dessen sportplatzgroße Felder grünlich schillernder Platten, die von Verstrebungen und Querbalken zusammengehalten werden, an denen unförmige Auswüchse hängen. „Das soll eine Raumstation sein?“ Ja, womit heute durch den Abschuß einer Proton-Rakete vom kasachischen Baikonur begonnen wird, ist in der Tat die Verwirklichung eines alten Menschheitstraums. Die Raumstation ISS, deren Grundsteinlegung mit dem russischen Teilstück Zarya (Sonnenaufgang) heute beginnt und die eine neue Ära der Raumfahrt einläutet, wird allerdings ganz anders aussehen als „Enterprise“ und „2001“ und alle Raumstationen, die sich die Popkultur bisher ausgemalt hat. Und sie wird auch andere Aufgaben haben. Der Baubeginn hatte sich um sechs Monate verzögert, weil Rußland mit seinem Teilstück nicht klarkam. Gemessen daran aber, daß das Projekt schon seit 15 Jahren in der Mache ist, ist das noch gar nichts. Weitere Verzögerungen sind programmiert. Wenn man bedenkt, daß zum Zusammenbau der Raumstation 960 Arbeitsstunden mit Black-&-Decker-Werkzeug freischwebend im All vorgesehen sind, kann man sich, wie jeder Autobastler weiß, auf etliche Verzögerungen gefaßt machen.
Auch die Kosten sind weit über das ursprüngliche Limit hinausgeschossen. Beginnend mit der Planung des von Ronald Reagan 1981 verkündeten Projekts bis zu seiner für das Jahr 2004 geplanten Fertigstellung wird die Raumstation 60 Milliarden Mark verschlingen, die Servicekosten nicht eingerechnet. Von den insgesamt erforderlichen 96 Milliarden Mark tragen die USA 53 Milliarden. Auch hier dürften noch Kosten auf die USA zukommen, denn eine Milliarde Mark soll jetzt schon, sehr zum Unwillen des Kongresses, in die marode russische Raumfahrtindustrie gepumpt werden, damit die ihren Verpflichtungen im Rahmen des Konsortiums nachkommt.
Sollte dieses Ding da oben am Himmel tatsächlich je fertig werden, fragt sich noch, was man damit anstellen soll. Eine Raumstation dient ihrer Konzeption nach als Tankstelle und Umsteigebahnhof für die Weiterfahrt zu fernen Sternen. Inzwischen aber hat sich herausgestellt, daß unbemannte Raumfahrt nicht nur billiger ist als bemannte, sondern auch weit mehr Aufschluß über die „Welt, das Universum und den ganzen Rest“ bringt, wie es in Douglas Adams Roman „Per Anhalter durch die Galaxis“ heißt. Die großen kosmologischen Durchbrüche verdankt die Menschheit eher den Ergebnissen solcher Sonden wie Mariner, Galileo und Hubble als den Apollo-Missionen zum Mond und den Rundflügen John Glenns.
Bei bemannter Raumfahrt aber geht es nicht um Kosten-Nutzen- Rechnungen, sondern um Mythen und Politik. Bemannte Raumfahrt ist einerseits eine in die Zukunft gewandte Rückbesinnung auf die Zeit der großen Entdeckungen: der Weltraum als Neue Welt und New Frontier, zu deren Eroberung man Forts in den Himmel baut. Andererseits ist die bemannte Raumfahrt ein Kind des Kalten Krieges. Ohne die Herausforderung des russischen Sputniks hätten die Amerikaner nie das Apollo-Programm aufgelegt und Menschen auf den Mond geschossen.
Die Raumstation ist in doppelten Hinsicht ein Stück Abwicklung des Kalten Krieges. Die Konkurrenz der Systeme erzeugte auch die Vision von deren Umkehrung: das Zusammenwirken aller Völker über nationale und Systemgrenzen hinweg, um die Händel dieser Erde zu transzendieren. Literarische Gestalt verlieh diesem Menschheitstraum der Astronom Carl Sagan in seinem Roman „Contact“, in dem die Völker der Welt an einer Weltraummaschine bauen, die ferne Welten erkunden soll. Auch in einem sehr praktischen Sinn ist die Raumstation eine Hinterlassenschaft des Kalten Krieges. Es ist ein gigantisches Beschäftigungsprogramm für arbeitslos gewordene russische Raketenfachleute. Besser, die sind in ein Projekt eingebunden, als daß sie sich und ihre Kenntnisse verkaufen an Staaten wie Irak oder Korea.
Ob dies den ganzen Aufwand rechfertigt, ist zweifelhaft. Selbst Wissenschaftlervereinigungen wie die Amerikanische und die Deutsche Physikalische Gesellschaft sind nicht begeistert. Mit den ISS- Milliarden könnten ihrer Meinung nach auch am Boden oder mit unbemannten Satelliten wichtige Experiente finanziert werden.
Da die Raumstation ja nun irgendeinen praktischen Nutzen vorweisen muß, hat man jetzt ein ganz neues Konzept für die alte Idee entwickelt. Im Weltraum entsteht ein neuer Industriepark, der uns neue Materialien und Medikamente bescheren soll.
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