: In der Kirche des Lärms
■ Vorschau 2: „Therapy?“, eine Gitarrenband von überreifer Güte
Wie weiterleben, wenn der Bravo-Hype vorbei ist? Saufen? In Monaco mit der Yacht kreuzen, bis der Arzt kommt? Das britische Alternativ-Rock-Trio „Therapy?“ hat sich für einen anderen Weg entschieden. Nach dem Erfolg von „Troublegum“ suchen die Musiker um den Sänger und Gitarristen Andy Cairns ihre rohen Wurzeln und verzichten nach zwei perfekt produzierten Alben auf ihrer neuen Scheibe „Semi-Detached“ darauf, ihren Sound zu glätten.
Mit einem neuen Gitarrristen zum Quartett aufgestockt, durchwandern die Cairns und Co. nun nicht nur textlich die „Church of Noise“ (Songtitel) – es kreischt, pfeift und kracht auf einmal an allen Ecken und Enden, wenn „Therapy?“ durch ihre Stücke jagen. Das Gespür für gut geschriebene Popsongs hat sich die Gitarrenband aber bewahrt, und auch die Dynamik stimmt dank dieser Extraportion „Fickt Euch“-Attitüde.
Die war es schließlich, die das Trio seit 1990 hörenswerter machte als die vielen hundert anderen britischen Gitarrenbands. Der zweite Grund für den Erfolg: Sänger Cairns reifte über die Jahre zu einem immer perfekteren Songwriter heran. Die rohen, noch von Industrialbeats aus dem Drumcomputer angetriebenen Frühwerke der Band waren Versuche, sich dem Gesamtkunstwerk Popsong anzunähern. Mit dem vierten Album „Troublegum“ gelang „Therapy?“ dann ein Rockklassiker im besten Sinne.
Danach erreichte die Band in Sachen Songwriting nicht mehr die Perfektion von „Troublegum“. Der Zenit der Band markierte zugleich ihren Abstieg. Cairns Songwriting war überreif geworden. Die Kompositionen klangen zu bemüht, kamen aus dem Kopf und nicht aus dem Bauch. „Troublegum“ folgte ein grauenhaftes Album, dessen Tiefpunkt eine schleimige Coverversion von Hüsker Dü's „Diana“ war – und zum Glück folgte auch Cairns Einsicht, daß es nach dem Ruhm so nicht weiter geht. Nach ihrem Kurswechsel Richtung Lärm sind „Therapy?“ erfreulicherweise wieder da, wo sie angefangen haben: In der Kirche des Lärms, wo sie mit Feedback-kreischender Gitarre Wut und Verzweiflung predigen. Lars Reppesgaard
Am Sonntag, 20 Uhr, im Modernes
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