Walser, Bubis etc.: Moralische Autoritäten
■ Der Streit um das Holocaust-Gedenken bleibt Mediendeutung
Was ist geschehen? fragt Richard von Weizsäcker (in der FAZ vom 20.11.) und stellt damit keine leichte Frage in der Debatte, die sich an die Friedenspreisrede von Martin Walser angeschlossen hat. Walsers Wort von der „Moralkeule“ und der „Instrumentalisierung unserer Schande zu gegenwärtigen Zwecken“ evozierte die Gegenrede von Ignatz Bubis in seiner Eigenschaft Vorsitzender des Zentralrats der deutschen Juden. Wenn von der authentischen Erfahrung des Holocaust die Rede ist, geht es nicht bloß um Meinungen mit der Möglichkeit, sich zustimmend oder ablehnend einzuschalten. Bubis hat auf Walser nicht zuletzt mit der gewichtigen Bedeutung seiner Institution geantwortet. Bei aller Emotionalität und Überspitztheit seiner Reaktion bleibt die Sprecherrolle von Bubis klar und unmißverständlich.
Die Fortsetzung der Debatte hat weitere Mitdiskutanten auf den Plan gerufen. Hamburgs Ex- Bürgermeister Klaus von Dohnanyi sprach von Walsers notwendiger Klage (FAZ vom 14.11.), worauf in chronologischer Reihenfolge Bubis, erneut Dohnanyi, Freimut Duve und nun Richard von Weizsäcker zu Wort kamen. Die FAZ begreift sich als Schauplatz dieser Debatte und stilisiert sie zur „Grundsatzdebatte der neuen Berliner Republik“. „Nie zuvor“, so die FAZ, „haben Protagonisten von vergleichbarer moralischer Autorität über die historischen und sittlichen Verpflichtungen des Landes widerspruchsvoller und erbitterter gestritten.“
Die moralischen Autoritäten sind bei ihren Ausführungen keineswegs frei von moralischen Eitelkeiten. Wie anders soll man Dohnanyis öffentliche Bitte um Aussprache vor dem Zentralrat der Juden („und nicht in einer Talkrunde“) verstehen? Wer offene Briefe schreibt, befindet sich immer schon in der Talkshow. Richard von Weizsäcker indes stimmt noch einmal den hohen Ton seines früheren Amtes an, wenn er auf das Ausland schaut und fürchtet, daß junge Menschen die Debatte nicht begreifen werden. Es scheint ihn bei seiner Sorge um den jungen Menschen nur wenig zu bekümmern, daß dieser in die Debatte nicht eingreifen mag.
Es geht nicht nur um „Moralkeulen“ oder „geistige Brandstiftung“, sondern auch um die Deutungshoheit in der Erinnerung an den Holocaust. In einer Betrachtung zu Roberto Benignis Auschwitz-Film „Das Leben ist schön“ hat der ungarische Schriftsteller Imre Kertész darauf hingewiesen, daß der Holocaust den Menschen künftig auf jede mögliche und unmögliche Weise entfremdet wird. Daß einer wie der 1952 geborene Benigni Anspruch auf das traurige Erbe Auschwitz anmeldet, wertet Kertész als positives Zeichen. Es bedarf der Sprecher jenseits der moralischen Autoritäten. Harry Nutt
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