: Ökosteuerdebatte mit skurrilen Zügen
■ CDU und FDP beklagen Ausnahmen von der Steuer für energieintensive Betriebe. Steuerbeginn doch auf 1. April verschoben
Berlin/Bonn (taz/dpa) – Bei der ersten Lesung im Bundestag entfaltete die endlose Ökosteuer-Debatte noch einmal einen gewissen Charme. „Dieses Ökosteuer-Gesetz hilft der Umwelt soviel, wie es der Gesundheit helfen würde, wenn man Kettenraucher von der Tabaksteuer befreit.“ So kritisierte ausgerechnet ein FDP-Abgeordneter, Carl-Ludwig Thiele, die Ausnahmen für energieintensive Industrien. Der Finanzpolitiker Friedrich Merz (CDU) entdeckte sogar verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Ausnahmeregelungen für die energieintensiven Betriebe. So kritisierten die alten Koalitionparteien ausgerechnet jenen Passus im Ökosteuergesetz, der die heimische Industrie schützen soll.
Eine weitere Überraschung war die Verschiebung des Beginns der Ökosteuer auf den 1. April 1999: Weil Kanzler Schröder im Zusammenhang mit der Regelung der 620-Mark-Jobs darauf bestand, die Rentenbeiträge erst zum 1. April zu senken, bestanden die Grünen darauf, auch die Ökosteuer solange zu verzögern.
Ansonsten das Übliche: FDPler Thiele nannte die Ökosteuer einen „riesigen Etikettenschwindel“, durch den die Regierung abkassieren wolle, CDUler Merz nannte sie eine „Geldbeschaffungsmaßnahme“, mit der Rot-Grün seine Wahlversprechen finanzieren wolle. Ihn überzeugte offenbar auch nicht, daß die Bundesregierung gestern mit dem Ökosteuergesetz einen Entschließungsantrag einbrachte, der festschreibt, daß die Einnahmen aus der Ökosteuer in dieser Wahlperiode „in vollem Umfang“ zur Senkung der Sozialversicherungsbeiträge eingesetzt werden. Auch Gregor Gysi sprach vom „Etikettenschwindel“: Die Ökosteuer sei weder ökologisch noch gerecht oder sozial, sondern nur eine zusätzliche Geldquelle, die auch Arbeitslose, Rentner und Studierende zahlen müßten, ohne Ausgleich zu erhalten.
Bundesfinanzminister Oskar Lafontaine (SPD) verteidigte den Gesetzentwurf: Der bisherige Energieverbrauch der Industriestaaten sei „nicht globalisierungsfähig“. Die geplante Steuer sei ein „sehr mäßiger Schritt, der niemanden überfordert“. Andererseits könne man damit die Lohnnebenkosten in drei Schritten von derzeit 42 auf 40 Prozentpunkte senken.
Bundesumweltminister Jürgen Trittin pries die Ökosteuer als einen „Einstieg in den ökologisch sozialen Strukturwandel“. Zwar würden auch erneuerbare Energien aus rechtlichen Gründen mitbesteuert. Diese Einnahmen würden aber in ein Förderprogramm für erneuerbare Energien zurückfließen. Trittin rechnet mit Einnahmen von 300 Millionen Mark, die in fünf bis zehn Jahren fließen und rund 10.0000 Arbeitsplätze schaffen sollen.
Die Ökosteuer beläuft sich auf sechs Pfennig pro Liter Sprit, vier Pfennig auf Heizöl, zwei Pfennig pro Kilowattstunde (kWh) Strom und 0,32 Pfennig pro kWh Gas. Das produzierende Gewerbe soll ab einem Steuerertrag von 1.000 Mark pro Jahr nur noch einen gemäßigten Satz von 25 Prozent zahlen, energieintensive Branchen, bei denen der Strom mehr als 6,4 Prozent der Kosten ausmacht, sind ganz ausgenommen. Bei Strom für alte Nachtspeicherheizungen gibt es eine Ermäßigung der Stromsteuer auf die Hälfte. Matthias Urbach
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