Analyse: Die Auferstandene
■ Steffi Graf bleibt (fast) gesund und krempelt die Welt des Frauentennis um
Hoffentlich muß ich nie wieder Fragen beantworten, warum ich all das mache“, sagte eine glückliche Steffi Graf, nachdem sie im Viertelfinale des Masters-Turniers der besten 16 Tennisspielerinnen in New York ein dramatisches Match gegen Monica Seles mit 1:6, 6:4, 6:4 gewonnen hatte. 13.000 Zuschauer waren aus dem Häuschen, als die 29jährige ihre starke Kontrahentin endlich niedergekämpft hatte, und das obwohl sie auch diesmal nicht ohne Malaise über die Runden kam, sondern von einer Blutblase am Fuß tückisch gequält wurde. „Das erstaunlichste Comeback seit Lazarus“ (Stern), zuvor mit Turniersiegen in Leipzig und Philadelphia begonnen, fand seine nahtlose Fortsetzung.
Bleibt die Frage: Warum macht sie all das? Warum schleppt sie sich von einer Rehabilitation zur nächsten und bringt sich mühsam in Form, nur um kurz darauf von einer neuen Verletzung zurückgeworfen zu werden? Warum schmeißt sie den Schläger nicht einfach in die Ecke, wird endlich gesund und widmet sich wie andere Oldies des Tenniszirkus ihrer Familie (okay, das war bösartig)? Das Treffen der beiden Wiedergängerinnen des Frauentennis – Seles war kurz zuvor als „Comebackspielerin des Jahres“ geehrt worden – gab Auskunft: Es macht ihr einfach Spaß. Noch mehr Spaß macht es ihr, die frechen Mäuler der Fifteensomethings zu stopfen, die in Grafs letzten beiden Leidensjahren selten einen Zweifel daran ließen, daß die Deutsche für sie nicht mehr als ein trauriges Relikt der Vergangenheit ist. „Die jüngeren Spielerinnen haben heute das Selbstvertrauen, sehr direkt zu sein“, sagt Graf diplomatisch, doch auf dem Platz spricht sie eine andere Sprache, wenn ihr die frechen Gören à la Hingis, Kournikowa oder Williams gegenüberstehen. Nicht zuletzt deshalb freut sich die derzeitige Nummer 12 der Weltrangliste auf 1999, wenn sie, getragen von der Sympathie, die älteren Spielerinnen traditionell entgegengebracht wird, noch einmal den Angriff auf die Spitzenposition wagen will.
Daß sie nach wie vor hochklassiges Tennis spielt, sobald sie einigermaßen krauchen kann, hat sie 1998 in ihren wenigen Gesundheitspausen bewiesen, so Ende August beim Turniersieg in New Haven. Für das um Sponsoren und Publikum buhlende Frauentennis ist eine funktionsfähige Steffi Graf segensreich. Kaum genesen, rettete sie erst mal das Turnier in Leipzig vor Zuschauerpleite und Untergang, landete nebenbei die höchste Tennis-Einschaltquote des Jahres im deutschen Fernsehen und bewahrte dank ihrer Popularität in den USA auch das Masters vor einem Debakel. Fast logisch, daß sie trotz ihres raren Auftretens zur „aufregendsten Spielerin des Jahres“ gekürt wurde und solchermaßen ihre Metamorphose vom Obermuffel zum Elder Darling der Tour eine adäquate Würdigung fand. Matti Lieske
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