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Die Spuren der Steine im Schnee

Seine Motive fand er in der Natur, von ihr lernte er eine detaillierte Sicht auf die Welt: Die jetzt erschienene Monographie über den Fotografen Fritz Kühn veranlaßte die Berlinische Galerie zu einer Ausstellung  ■ Von Michael Nungesser

Seine Bücher haben so poetische Titel wie „Aus meiner Gräsermappe“ und „Licht, Land, Wasser. Erlebnisse auf einer Insel“ (gemeint ist Hiddensee). Oder sie gehen ins Pathetische: „Gottes harte Herrlichkeit. Ein Fotobuch.“ Autor dieser Fotobücher ist Fritz Kühn, erschienen sind sie zwischen den frühen fünfziger und sechziger Jahren, im Osten wie auch im Westen Deutschlands.

Und auch die jetzige Ausstellung der Berlinischen Galerie, die seit 1993 den fotografischen Nachlaß als Dauerleihgabe besitzt, versteht sich eher als begleitende Veranstaltung zur ersten Monographie, die jetzt über Fritz Kühn als Fotograf erschienen ist. Dabei war Kühn als Künstler zu Lebzeiten recht erfolgreich. Bis heute fällt sein Name, nicht aber, wenn es um Fotografie geht, sondern um das moderne Kunsthandwerk der Nachkriegszeit. Denn Kühn, 1910 in Mariendorf bei Berlin geboren, 1967 in Berlin-Grünau gestorben, war gelernter Werkzeugmacher und Kunstschmied. 1937 eröffnete er seine eigene Werkstatt, ein Jahr später publizierte er „Geschmiedetes Eisen“, bald als Lehrbuch anerkannt. Nach 1945 lebte er in Ost-Berlin und erhielt zahlreiche, meist öffentliche Aufträge – auch aus dem Westen. Er war ein Grenzgänger, seine handwerkliche Leistung bot ihm weitestgehend Schutz vor politischer Vereinnahmung.

Kühn war auch ein Grenzgänger der Künste. Seit den dreißiger Jahren hat er fotografiert. Die Natur war für ihn Hauptlehrmeisterin. Ihr folgte er in seiner Schmiedearbeit sowie mit der Kamera. Strukturen von Pflanzen, geologische Formationen, Meer und Himmel werden von ihm in wunderbar ausbalancierten „Kompositionen in Schwarz und Weiß“ (so ein weiterer Buchtitel) vorgeführt, zum Teil kombiniert mit architektonischen Elementen. Der Mensch kommt nur als Fragment vor, als weiteres Strukturelement, als Schatten zwischen einfachen Geometrien – so etwa in den wie schwerelos erscheinenden Aufnahmen, die 1958 während eines Italienaufenthaltes entstanden.

Es sind die sich aus dem Wachstum der Natur und aus einfachen menschlichen Produkten sich ergebenden, vergleichbaren, seriellen und ornamentalen Formen, die auf geradezu feierliche weise von Kühn ins Bild gerückt werden. Er zeigt die wie Falten eines geschwungenen Vorhangs auf den Laubboden fallenden Baumschatten im Wald, kalligraphische Grashalme im Sand oder einen Stein im Schnee. Er führt die Muster von geschichtetem Holz, von Pflaster- oder Geröllboden, von Wasser oder „Stufen“ (noch ein Buchtitel) vor, er setzt die Spitzen einer Brikettforke gegen plumpe Kohlebarren oder läßt eine Mole am Bodensee mit ihrem Schatten zu einer Form verschmelzen, die das Bild fast zerschneidet.

Kühns Naturaufnahmen sind von der Neuen Sachlichkeit eines Karl Bloßfeldt oder Albert Renger-Patzsch inspiriert und stehen der ungefähr zeitgleichen „subjektiven fotografie“ eines Otto Steinert nahe. Sie waren vor allem als eine Schule des Sehens gedacht, in der sich zuletzt Mikro- und Makrokosmos immer mehr abstrakten Formen annäherten. „Sehen und Gestalten“ war denn auch 1951 der Titel des ersten der sechs von Kühn veröffentlichten Fotobücher, denen zahlreiche Nachauflagen folgten. Die von Andreas Krase geschriebene Monographie ist erschöpfend und wunderschön gestaltet.

Berlinische Galerie im Lapidarium, Berlin-Kreuzberg, Hallesches Ufer 78, bis zum 30. November. Mi–Mo 10–20 Uhr. Das Buch aus dem Nicolai Verlag kostet in der Ausstellung 49 Mark (im Buchhandel 88 Mark).

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