piwik no script img

Die Grande Dame der russischen Politik

■ Galina Starowojtowa gehörte von Anfang an zum demokratischen Flügel des sowjetischen und russischen Parlaments und war Anfang der 90er Jahre die einzige Frau im Führungskreis um Jelzin

Sie war eine äußerst ungewöhnliche Erscheinung in der russischen Politik. Galina Starowojtowa war nicht nur eine der prominentesten Frauen in der Duma, sie war auch die erste hochrangige Politikerin, die sich als Feministin bezeichnete. Bewußt distanzierte sie sich von jenen Politfunktionärinnen, die sich gebärden wie 150prozentige Apparatschiki. Wenn sie im Parlament sehr gerade und ohne Eile zum Rednerpult schritt, mit hellem Halstuch auf dunklem Kostüm, fiel einem plötzlich ein, daß Rußland eine ganze Reihe regierender Zarinnen kannte.

Galina Starowojtowa wurde 1946 in Tscheljabinsk im Ural geboren. Schon als Kind siedelte sie mit ihren Eltern nach Petersburg um. Der Vater machte als Rüstungsingenieur Karriere und wurde hochdekorierter Panzerkonstrukteur und Hochschulprofessor. Die Eltern gehörten zwar zur Petersburger Nomenklatura, hielten ihre beiden Töchter aber materiell knapp und kleideten sie bescheiden. Fast naiv glaubten sie an die Ideale der kommunistischen Anfangsperiode. Den Glauben an Chancengleichheit hatte Galina von ihren Eltern geerbt.

In die Politik kam Galina Starowojtowa über die Wissenschaft. Als Mitarbeiterin des Sankt Petersburger Insituts für Ethnographie war sie Anfang der siebziger Jahre mit ihrem Söhnchen Platon im Rucksack durch den Kaukasus gezogen. Aus dem Wunsch, mehr für die Rechte der Armenier in Karabach zu tun, kandidierte die Ethnologin 1988 erstmals für das Parlament – in Jerewan. Als Abgeordnete noch im Obersten Sowjet der UdSSR und später Rußlands war sie Mitglied der demokratischen Bewegung von der ersten Stunde an.

Daß seine Nationenvielfalt Rußlands Stärke und gleichzeitig seine Achillesferse ist, war ihr stets bewußt. Nach dem August-Putsch 1991 wurde sie Präsident Jelzins Beauftragte für Nationalitätenfragen. Schon damals schwelten schwere Konflikte zwischen den Völkern im Nordkaukasus. Keiner davon entwickelte sich während ihrer Amtszeit zum Krieg. Alle beteiligten Seiten vertrauten der Unterhändlerin. Galina Starowojtowa galt als unbestechlich.

Vielleicht war sie deshalb stets Ziel von Bedrohungen und Erpressungsversuchen. 1989 hatten ihre politische Gegner ihrem ersten Ehemann in einer dunklen Moskauer Straße beide Arme und Beine gebrochen. Galina Starowojtowa sprach nie über den Druck, dem sie ausgesetzt war. Wenn man sie fragte, wie sie ihn bewältigte, sagte sie nur: „Das schlägt wohl auf die Gesundheit.“

Als Boris Jelzin sie 1993 ohne Begründung entließ, blieb die Politikerin dennoch die Ombudsfrau für die Unterprivilegierten des ganzen Landes. Sie arbeitete in einem Forschungsinstitut, bis sie sich 1994 einer schweren Operation unterziehen mußte. Die Zeit der Rekonvaleszens verbrachte sie in den USA. Dort genoß sie es, wie eine normale Bürgerin zu leben, Vorlesungen zu halten und selbst noch einmal ein bißchen zu studieren.

1996 kehrte sie nach Moskau zurück, um für das Präsidentenamt zu kandidieren. Die Wahlkommission verwehrte ihr diesen Weg mit formalen Vorbehalten. Für den Präsidentschaftskandidaten Jelzin wäre diese Frau eine zu starke Konkurrenz gewesen.

Trotzdem gab sie sich nicht geschlagen. Mit einem Sitz im Parlament hätte sie sich nicht zufriedengegeben. Für 1999 erwog sie, sich in Sankt Petersburg an den Gouverneurswahlen zu beteiligen. Und für die Präsidentenwahl im Jahr 2000 galt sie als einzige ernstzunehmende weibliche Kandidatin.

Kürzlich in der Fernsehsendung „Held des Tages“ hat sie noch ein Liedchen des Chansonniers Okudschawa geträllert. „Herr, gib jedem, war er verdient, und vergiß auch mich nicht“, sang sie. In derselben Sendung sagte sie: „Ich habe noch so viele Wünsche an mein Leben, aber ich weiß, daß es zu kurz sein wird, um sie zu verwirklichen.“ Barbara Kerneck

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen