: Krümmel: Kerniger Streit um Plutonium-Studie
■ Kieler Energieministerium fordert weitere Gutachten an und die GAL das Abschalten des AKW. Umweltschützer erstatten Strafanzeigen und HEW weisen Vorwürfe zurück
Für kernige Auseinandersetzungen sorgt die am Wochenende bekanntgewordene Studie der Bremer Physikerin Prof. Inge Schmitz-Feuerhake über Plutonium-Kontaminationen in der Umgebung des Atomkraftwerks Krümmel bei Geesthacht (taz berichtete gestern). Das Kieler Energieministerium als zuständige Atomaufsichtsbehörde hat bereits weitere gutachterliche Stellungnahmen in Auftrag gegeben. Der grüne Hamburger Umweltsenator Alexander Porschke forderte vom Betreiber des AKW, den Hamburgischen Electricitätswerken (HEW), eine umfassende Unterrichtung. Zwei Umweltschutzorganisationen haben Strafanzeigen wegen des Verdachts der atomaren Verseuchung gestellt.
Das schleswig-holsteinische Energieministerium hat den TÜV-Nord und das Bremer Physikerbüro kurzfristig mit „gutachterlichen Stellungnahmen“ zu der Expertise von Schmitz-Feuerhake beauftragt. Spitzenbeamte des Ministeriums werden heute in Bonn mit Experten des Bundesumweltministeriums über den Plutonium-Verdacht beraten (siehe Bericht Seite 9).
Umweltsenator Porschke forderte gestern die HEW und die zuständigen Ministerien in Kiel, Hannover und Bonn auf, intensive Prüfungen zu veranlassen. Sollten sich die Befunde bestätigen, schrieb Porschke, „ließe das auf ein dramatisches Leck im Sicherheitssystem des Atomkraftwerks schließen, das nicht hingenommen werden kann“.
Ebenfalls zur Feder griff der energiepolitische Sprecher der GAL-Fraktion, Lutz Jobs. Seinem grünen Parteifreund, dem „sehr geehrten Herrn Bundesumweltminister Jürgen Trittin“, teilte Jobs brieflich mit, er halte es „für erforderlich“, das AKW Krümmel „nicht wieder ans Netz zu lassen, bis auszuschließen ist, daß Krümmel mit diesen Plutoniumfunden in Zusammenhang steht“. Der Reaktor ist wegen einer Revision seit Juni abgeschaltet. Das Ende der Wartungsarbeiten wird für Mitte Dezember erwartet.
Doch Jobs geht noch einen entscheidenden Schritt weiter. Die HEW als Betreiber des AKW sollten zum Nachweis verpflichtet werden, „daß diese Plutoniumfunde in keinerlei Zusammenhang mit dem Betrieb des AKW stehen können“, fordert er vom Bonner Umweltminister Trittin und vom Kieler Energieminister Claus Möller (SPD). Dieses wäre ein Vorgriff auf die von der rot-grünen Bundesregierung beabsichtigte Novellierung des Bundesatomgesetzes. In der Neufassung, die noch in diesem Jahr in erster Lesung im Bundestag beraten werden dürfte, soll die Umkehr der Beweislast festgeschrieben werden.
Danach müßte nicht mehr eine von Atomanlagen ausgehende Gefährdung juristisch lückenlos nachgewiesen werden; die Betreiber hätten vielmehr den Nachweis zu führen, daß ihre Werke für die Umwelt ungefährlich sind. Ein rechtlich „kompliziertes aber machbares Konstrukt“, so der Hamburger Atomrechts-Spezialist Nikolaus Piontek (siehe Interview auf dieser Seite), das die Eingriffsmöglichkeiten von Behörden und Politikern erheblich verbessern würde.
Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) in Niedersachsen sowie der Bundesverband der Bürgerinitiativen haben gestern aufgrund des neuen Gutachtens bei der Staatsanwaltschaft Lübeck Strafanzeige gegen Unbekannt erstattet. Sie wollen mit einem Ermittlungsverfahren klären lassen, ob das AKW Krümmel für die Häufung von Leukämie-Erkrankungen in der Elbmarsch verantwortlich ist. Der Atommeiler steht seit langem im Verdacht, ein „Leukämie-Reaktor“ zu sein. Seit 1989 sind in der Region 21 Menschen an Blutkrebs erkrankt, drei von ihnen starben. Wissenschaftlich ist ein Zusammenhang mit dem Betrieb des Atomkraftwerks jedoch bisher nicht eindeutig belegt.
HEW-Sprecher Johannes Altmeppen erklärte gestern, „dieses Gutachten durch Experten prüfen zu lassen“. Wenn dies erfolgt sei, „werden wir uns in aller Deutlichkeit melden“. Die HEW-Tochter Kernkraftwerk Krümmel GmbH (KKK) wies die Befunde der Studie gestern bereits „scharf zurück“. Die Emission von Plutonium habe bisher „stets unterhalb der Nachweisgrenze gelegen“. Die von Schmitz-Feuerhake gemessenen Werte hätten nur „durch eine massive Beschädigung von Atombrennstäben“ entstehen können. „Solche Schäden hat es nicht gegeben“, stellt die KKK fest. Deshalb scheide das AKW Krümmel „als Verursacher aus“. Sven-Michael Veit
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