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Plansollerfüllung – adrett auf große Fahrt

■ Von der Leichtigkeit des Bestellens und der unerträglichen Erfahrung des Ausverkaufs – Das Buch „Kaufrausch“ erzählt vom Auf- und unaufhaltbaren Abstieg ostdeutscher Versandhäuser

Wo Versandhauskataloge die Kunden in der Ich-Form ansprechen, sind andere Wunder nicht fern. „Ich bin stolz darauf, der Katalog eines sozialistischen Versandhauses zu sein“, vermeldete ein DDR-Produkt in den 50er Jahren und kündigte fröhlich an: „Auf meinen Seiten wird jetzt schon sichtbar: Die Arbeiter in der Industrie und die Werktätigen in der Landwirtschaft schaffen es! Bis 1961 wird Westdeutschland im Pro-Kopf-Verbrauch an Lebensmitteln und den wichtigsten Konsumgütern überholt.“

Für solche Vorworte hätte sich die DDR ein gelungenes Überholmanöver eigentlich verdient. Bekanntlich kam es anders, und deshalb gehören jetzt auch die ostdeutschen Bestellkataloge in die Bücherecke mit den besonderen Erinnerungen.

„Kaufrausch“ nennt Annette Kaminski ihr Bilderbuch über die rund zwanzigjährige Episode des DDR-Versandhandels, das wiederum deutet bereits an: In dem so ernsten Wirtschaftsleben war dieser Versandhandel – jedenfalls aus heutiger Sicht – mehr eine lustige Sache. Oder besser gesagt eine klassische Tragikomödie im Planwirtschaftstheater. Die beiden ostdeutschen Versandhäuser bildeten ein eigenes Potemkinsches Dorf in der DDR-Konsumwelt: 1956 bzw. 1961 haben sie den „Kampf an der Konsumfront“ aufgenommen. Dafür mußten Hunderte Geschäfte als Verlierer der Warenumlenkung gleichzeitig geschlossen wurden.

In ihren Werbekatalogen priesen sich die Versandhäuser zuweilen nicht anders als „Neckermann“ – eine Delegation hatte sich dort zuvor umgeschaut –, doch das angestrebte „Weltniveau“ blieb beim Warensortiment allzu oft aus. Was dem offiziellen Erfolg (zunächst) keinen Abbruch tat. Zwar wurde 1973 nur die Hälfte der Bestellungen geliefert, doch der Warenumsatzplan wurde trotzdem locker mit 107,5 Prozent erfüllt.

Wahrscheinlich waren die Versorgungsaufgaben, die quasi so nebenbei mit erledigt werden mußten, im Plan gleich mit aufgenommen worden: wie beispielsweise, Politik gleich mit zu verkaufen und den neuen sozialistischen Menschen ästhetisch wie emanzipatorisch zu erziehen. So steht ein männliches Model an der Waschmaschine und strahlt den Kunden an: „Von jetzt an wasche ich die Wäsche, denn meine Frau hat das gleiche Recht auf Bildung und Freizeit wie ich.“ Gunnar Leue

„Kaufrausch – Die Geschichte der ostdeutschen Versandhäuser“, Ch. Links Verlag, 49,80 DM

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