: Ausflug nach Coventry Von Joachim Frisch
Viel wußte ich nicht über die Herren Wilfried Haase, Hauke Möller, Nestor Zwarycz und Ralf Marquardt, außer daß alle vier Herren sich via E-Mail an das Hamburger Abendblatt wandten, um ihre Sorge über den Zustand der Hamburger Innenstadt kundzutun. Zuvor hatte das Hamburger Abendblatt aus dem Hause Springer auf der Titelseite gefragt: „Verwahrlosung: Was muß Hamburg tun?“ und die Probleme beim Namen benannt: „Drogensüchtige, Obdachlose, Bettler, Abfälle und Schmierereien.“ Gelöst werden könne dergleichen nach dem Vorbild der englischen Stadt Coventry: „Der Stadtrat delegierte die Verantwortung für Sicherheit und Sauberkeit in der City an ein Privatunternehmen. Kameras überwachen die Innenstadt, öffentlicher Alkoholkonsum ist untersagt.“
Dies beeindruckte die Herren schwer. „Neidvoll“ sah Herr Haase die Bürger Hamburgs nach Coventry und Singapur und selbst nach München sehen, wo es „schon sauberer als in den nördlichen Hansestädten“ sei. Auch Herr Möller schwärmte von Coventry: „Stadtstreicher, Bettler und ,wilde‘ Musikanten werden durch Aufsichtskräfte umgehend entfernt. Reinigungskräfte sind im Dauereinsatz. Die Zentren sind mit dem Auto gut zu erreichen.“ So also stellt Herr Möller sich das Paradies vor, mit Parkplätzen statt Schmutz und Krankheit. Paradiesplaner Zwarycz fügt hinzu: „Daß die Drogensüchtigen und Alkoholiker krank sind, ist eine Sache – eine andere, wo sie ihre Krankheit ausleben dürfen. Hier ist die Innenstadt nicht der richtige Ort.“ Und auch Ralf Marquardt hatte es gemerkt: Hamburg hat versagt, typisch Rot- Grün. „Typischer geht's nicht! Laisser-faire für die Falschen (Penner, Drogensüchtige, Alkoholiker, Kriminelle) – Knute des Gesetzes (bis hin zu hemmungsloser Willkür, Schikane und Vergraulung) ebenfalls für die Falschen (Unternehmer, Gewerbetreibende, Autofahrer, Steuerzahler).“
Als ich von all dem Elend erfuhr, von meinen eigenen neidvollen Blicken nach Coventry (immerhin bin ich Hamburger Bürger), von der hemmungslosen Vergraulung der Falschen und den am falschen Ort ausgelebten Krankheiten, entschloß ich mich, nicht länger tatenlos zuzusehen. Ich lud Wilfried Haase, Hauke Möller, Nestor Zwarycz und Ralf Marquardt, dazu Herrn Jens Meyer- Wellmann, den Autor des aufrüttelnden Abendblatt-Artikels, zu einem Besuch Coventrys ein.
Ein Kleinbus sollte uns in das Paradies der Sauberkeit und Ordnung bringen, das ja mit dem Auto gut zu erreichen ist. Dummerweise verfuhr sich der kurdische Chauffeur, der nur rudimentär Deutsch sprach. Statt in Coventry landeten wir nach mehreren Stunden Autofahrt und Fähre und wieder Autofahrt schließlich im Norden von Paris, wo uns bereits eine Gruppe kräftiger dunkler Männer in Lederkleidung mit reichlich Metallornamentur erwartete. Nach einer für Hanseaten ungewöhnlichen Begrüßungszeremonie mit Knuten und Schikanen wurden die Herren aus Hamburg schließlich dahin gebracht, wo Kranke und Schwerverletzte hingehören, auf die Intensivstation, während der Chauffeur, die kräftigen dunklen Männer und ich noch bis spät in die Nacht öffentlich Alkohol konsumierten. So wurde der Ausflug nach Coventry für alle Beteiligten zu einem unvergeßlichen Erlebnis.
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