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Bäumchenpflanzer der Vergeblichkeit

Sechzig Jahre leiden: Wie Münchens Kulturwelt den Geburtstag ihres Schreckgespenstes Herbert Achternbusch feiert  ■ Von Sabine Leucht

Herbert Achternbusch lächelt vor versammelter Presse. Lächelt niemanden an und schon gar nicht jemanden im besonderen, aber ein Lächeln ist es doch: bübisch und charmant, leise und vergrübelt. Und dann sagt er, ein Sechzigjähriger sei für ihn ein Vor-sich-hin-Sabbernder, mit „Knödelfriedhof“, dünnen Füßen und Bauch.

In seltener Eintracht hat alles, was in München Kulturinstitution heißt, zu diesem sechzigsten Geburtstag an der Widerspiegelung des Achternbusch-Werks gebastelt, das nicht nur die Grenzen der Künste sprengt. Der Jubiliar genießt's und bemerkt schelmisch, daß einer allein ja auch unfähig wäre, „mich in meiner Breite vorzustellen“. Und stellt hauchdünn daneben, daß der Hanser Verlag soeben seine neue Novelle abgelehnt habe und für einen weiteren Film vorerst kein Geld da sei: „Ihr feierts eigentlich ein Phantom.“

So ist er, der Herbert: ein selbstbewußter Bilderbuchleidender, der seine Obsessionen und Verletzungen als Malerei, Skulptur, Film und Text in die Welt klotzt, bis Ärger oder Poesie entsteht. Ganz manischer Macher, Bäumepflanzer und Töchterzeuger, ist er aber ebenso ganz Hoherpriester der Vergeblichkeit: „Du leidest. Du läßt leiden. Leider alles umsonst. Ohne Ufer. 60mal“ ist darum als Motto des Geburtstagsmarathons von Kammerspielen, Marstall, Stadt- und Filmmuseum, Literaturhaus und Dichtung & Wahrheit/Beck außerordentlich gut gewählt.

Grantelig aus Überzeugung und mit Stil trägt das Geburtstagskind die ewige Selbstunterschätzung wie eine Trophäe vor sich her. Auch wenn sich derzeit die ganze Stadt vor seiner Kunst „verneigt“ (Marstall-Chefin Elisabeth Schweeger in der AZ). Doch auch das gehört zu Achternbusch, daß er die Hand munter weiter schlägt, die ihn so zärtlich streichelt: „In Bayern möcht' ich nicht mal gestorben sein“ oder „Diese Gegend hat mich kaputtgemacht, und ich bleibe so lange, bis man es ihr anmerkt“ stand auf zwei von 60 Best- of-Achternbusch-Fahnen, die bis gestern in der Münchner City aushingen. Mißtrauisch beäugt von der Landesregierung, die dem bekennenden antikatholischen Buddhisten immer noch sein „Gespenst“ nachträgt, unterstützt aber von OB Christian Ude, der in Achternbuschs letztem Film, „Neue Freiheit, keine Jobs“, sogar kräftig bei der Verdünnisierung Helmut Kohls mitwirkte und den neben der Stadtsparkasse, dem Kulturforum und der Paulaner-Brauerei der besondere Dank der Veranstalter trifft. Aha!? Zumindest das versammelte Geld und die Politik hat der sentimentale Anarchist und „Bierkämpfer“ in den letzten Jahrzehnten nicht gerade gehätschelt. Und wer sich bislang an den Bildern und Ideen „unseres einzigen Originalgenies“ (Theater heute) erfreuen konnte, versicherte sich darüber immer auch ein wenig seines eigenen „Aus-der- Norm-Fallens“.

Als notorischer Schulschwänzer, als der er von Robin Detje 1995 auf den Hannoveraner Autorentagen gepriesen wurde, hält der „Atlantikschwimmer“ in der Münchner Nobelschule erstaunlich ausdauernd den Kopf über Wasser. Auch wenn er stets mit dem Untergang kokettiert. Vielleicht, weil ihn „Am Golf von München“, wie eines seiner Bilder heißt, doch mehr hält als bloße Dissidenz? „So fremd wie München kann mir etwas anderes gar nicht sein“, meint das bayrische Original und pflegt und bekämpft doch ganz wie die Bayernmetropole den Ruch des Provinziellen, der so zäh an beiden klebt. Was daran schön ist, konnte man zur Ausstellungseröffnung „Weiße Flecken“ im Marstall sehen, wo „Die Goass“ aus Österreich groovende „Volksmusik“ spielten und zwei Kinder im Krabbelalter mit spritzendem Sand für Stimmung sorgten. Das war Provinz at its best, familiär und weltläufig zugleich.

Achternbusch, der sich als „Bayer trotz Bayern“ sieht, ist auch darin vielen Münchnern ähnlich, daß er es nicht mag, „wenn man mi ins Bayrische reindrückt“. So geschehen bei der bierkrugleichten, dirndlschwangeren Uraufführung seines „Tukulti“ in Wien. Sein neues Stück, „Dulce est“, hat er nun wieder an sein Stammhaus, die Münchner Kammerspiele, gegeben: Auf metallisch sägendem Klangteppich wähnt man sich von Beginn an dort, wo man realiter ist – in einer Schreinerwerkstatt. Ein Jesus- Verschnitt mit Bergschuhen, sonst nix Bayrisches nirgends. Statt dessen zwei Selbstmörder, die sich redlich um einen ordentlichen Tod mühen, ohne abschließende Erkältung oder Wachsflecken auf dem Mantel. Die Brücke von Regensburg ist das Metallgebälk unter der Decke, von wo aus die beiden langsam an einer Reckstange in die Tiefe fahren, um dort sehr staunend und sehr lachend im Dunkeln herumzukrabbeln, den „Herzog- Johann-Jodler“ zu üben und unter dem Ansturm mannigfacher Erscheinungen am Ende maskiert davonzureiten respektive zum Baum zu werden.

Das ist am Anfang stillvergnüglich und am Ende ziemlich dada. Weniger ein Stück als ein charmanter, etwas ausgefranster Einfall, der in der Regie von Peter Wittenberg und nicht zuletzt dank Sascha Groß zu einem hübschen Kabinettstückchen gerät. Er nämlich hat den Riesenengel mit den verqueren Gliedmaßen und die flachen Berge gemacht, die sich blauweiß schraffiert und achternbuschnaiv aus dem Holzlager erheben. Das könnte auch dem Meister gefallen haben, der am Schluß allen Mitwirkenden lieb die Hand schüttelt und keck ins Publikum grinst.

„Dulce est“ nennt sich „Kindertheaterstück“, und an einen Kindergeburtstag fühlte sich kürzlich schon die SZ erinnert. In Wirklichkeit aber feierte (sich) hier die ganze große Familie.

Die Feier geht weiter: bis 30.11. in den Kammerspielen (Zyklus „Arschi“), bis 1.12. bei Dichtung & Wahrheit/Beck (Teeskulpturen: „Kinderfriedhof und Heiligtümer“), bis 17.1. im Stadtcafé (Bilder: „Umsonst“), bis 6.12. im Literaturhaus (Bilder: „Hinundherbert“, „Quer durchs Werk“, Bücher von und über Achternbusch, Fotos von Barbara Gass über 25 Jahre Film) und bis 22.2. im Filmmuseum, das immer montags zwei Achternbusch-Filme zeigt (am 1.12. zeigt Arte außerdem einen Achternbusch-Themenabend).

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