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„Evolution statt Revolution“

ATP-Chef Mark Miles und seine Direktoren haben den Übernahmeversuch des Männertennis durch das gemischte Doppel Boris Becker/Leo Kirch abgeschmettert  ■ Aus Hannover Matti Lieske

ATP-Chef Mark Miles muß sich zuletzt vorgekommen sein wie Aschenputtel. Der Tennisboom der goldenen 80er und beginnenden 90er ist Geschichte, die Umsätze der Industrie gehen zurück, ebenso Einschaltquoten und Engagement der Fernsehanstalten. Fieberhaft werden in der ATP Überlegungen angestellt, wie man die Tennis-Tour durch Regeländerungen attraktiver gestalten kann, um zu altem Glanz zurückzufinden, und dennoch: In den letzten Wochen standen die Prinzen geradezu Schlange, um ein Tänzchen mit dem darbenden Kinde zu ergattern.

Leo Kirch ließ seinen Vorsprecher Boris Becker im Namen der Londoner Agentur Prisma um die Gunst der ATP und die ab dem Jahr 2000 freien TV- und Marketingrechte werben, unterstützt von Bernie Ecclestone, der nach eigenem Bekunden zwar keinen Schimmer vom Tennisgeschäft hat, aber angeblich dennoch bereit war, sein Formel-1-Imperium für eine glänzende Zukunft des Tennissports zu verpfänden. Milliardenbeträge standen plötzlich im Raum, und Miles, der bis dahin ein Dreijahresangebot für TV- und Marketingrechte der Super-9-Turnierserie und ATP-WM von den Agenturen ISL/Octagon über 75 Millionen Dollar vorliegen hatte, kam sich vor wie im Schlaraffenland. Andererseits mußte der 44jährige schnell reagieren, um eine „feindliche Übernahme“ des Tenniszirkus unter Abservierung der ATP abzuwenden.

Bevor gestern in Hannover der erste Ball der ATP-WM gespielt war, gab Miles die Entscheidung über die Zukunft des Tennis bekannt. „Wir wollen lieber progressive Evolution statt Revolution“, verkündete er, damit waren Kirch und Becker erst mal aus dem Geschäft, nicht zuletzt, weil sie die Branche damit verschreckten, daß sie weite Teile des Sports offenbar endgültig von der Mattscheibe, nämlich ins Pay-TV, verbannen wollten. Die ATP und die Direktoren der neun großen Turniere neben den Grand Slams setzen statt dessen auf ISL/Octagon, die allerdings mächtig draufsatteln muß auf ihr ursprüngliches Angebot. Dafür bekommt sie aber auch deutlich erweiterte Rechte.

Die Turniere von Hamburg, Key Biscayne, Toronto, Monte Carlo, Paris, Indian Wells, Rom, Montreal und Cincinatti haben sich zusammengeschlossen und ein Joint-venture mit der ATP gebildet. Anstatt gegeneinander um Sponsoren und TV-Verträge zu konkurrieren, überlassen sie ihre Marketing-, Merchandising- und Fernsehrechte nun gebündelt ISL/ Octagon. Das sei ein „dramatischer Anstieg“ an Wert, sagt ISL- Direktor Daniel Beauvois, Preis und Laufzeit des Bündels könnten jedoch erst dann bestimmt werden, wenn klar ist, welche Rechte nach Auslaufen bestehender Verträge wann zur Verfügung stehen.

„Ich rechne mit einer langen Laufzeit“, sagt Beauvois, und ATP-Boß Miles schätzt, daß ein Zehnjahresvertrag nicht unter einer Milliarde Dollar zu haben sein wird. Harte Verhandlungen sind jedenfalls gewiß. Wie im Falle des europäischen Fußballs hat damit auch im Tennis die Intervention eines privaten Anbieters dafür gesorgt, daß die Verwalter der Ware drastisch mehr Geld bekommen und eine Machtkonzentration stattfindet.

Mit Grand-Slam-Turnieren, ATP-WM und den Super 9 existieren nun 14 Turniere, bei denen die besten Tennisspieler der Welt antreten werden bzw. müssen, für die kleineren Turniere bleibt da nicht viel übrig. Ohnehin will die ATP den Wert ihres Produkts durch Verknappung steigern. Fünf Turniere hat sie bereits zurückgekauft, um sie prompt einzustellen, mindestens zehn weitere sollen folgen. Außerdem sollen von den kleineren Turnieren keine weltweiten Fernsehübertragungen mehr gesendet werden, was dem Prinzip dient, aber deren wirtschaftliche Basis sehr schmälert.

Nicht weiter verwunderlich, daß die Turnierdirektoren, gestern in Hannover als die „Handsome 9“ vorgestellt, vor Zufriedenheit fast aus den Anzügen platzten, als das neue Joint-venture und die Übereinkunft einer Zusammenarbeit mit ISL/Octagon – allgemein weit seriöser eingeschätzt als Prisma mit Speerspitze Boris – präsentiert wurde.

Und auch Mark Miles, dessen Organisation ernsthaft bedroht war durch die Initiative von Ecclestone und Becker, der mit seinen Ideen durchaus Beifall bei Spitzenspielern wie Pete Sampras oder Andre Agassi fand, konnte man die Erleichterung ansehen.

Wenn die abschließenden Verhandlungen mit ISL/Octagon zum Erfolg führen und zudem die angestrebte engere Kooperation mit dem Internationalen Tennis-Verband (ITF) und dessen Grand- Slam-Turnieren tatsächlich realisiert wird, kann er allen künftigen Revolutionen am Hofe Aschenputtels bis auf weiteres gelassen entgegensehen.

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