Eine Liebe in Dachau

Identität ist, was du trotzdem bist: Sean Mathias' Schwulen-Melodram Bent. Bekanntlich ist auch das Leben im KZ schön  ■ Von Christian Buß

n seinen besten Momenten macht das Kino das Unvorstellbare vorstellbar. In seinen schlechtesten versucht es, zu rekonstruieren, was nicht rekonstruierbar ist. „Warum quält er sich damit ab, diese ihm unbekannte Welt so auf die Leinwand zu bringen, daß sie in jedem Detail authentisch erscheine?“ fragte letzte Woche der ungarische Schriftsteller und KZ-Überlebende Imre Kertész in der Zeit. Gemeint war Steven Spielberg und sein Film Schindlers Liste, jene zweifelhafte Vermählung aus Dokumentarismus und Melodram, die den Holocaust in einer originalgetreu nachgestellten Erlebniswelt erfahrbar machen sollte. Anlaß für den Essay war die vieldiskutierte KZ-Komödie von Robert Benigni, die nicht nur im Titel behauptet, daß es auch nach dem Schrecken von Auschwitz eine Poesie geben kann, sondern die diesen Schrecken geradezu als Voraussetzung für eine Poesie ansieht. Das Leben ist schön.

Sagt auch Sean Mathias mit seinem KZ-Drama Bent, das jetzt passenderweise nur zwei Wochen nach Benignis Erfolgsfilm auch in Hamburg startet. Auschwitz heißt hier Dachau, statt gelben tragen die Insassen rosa Winkel, und anstelle der Mittel der Komödie werden die des Melodrams genutzt. Das Ver -nichtungslager indes soll in beiden Produktionen ein poetischer Ort sein, nicht von dieser Welt, aber sehr wahr. Ein Ort des Schreckens. Und ein Ort der Liebe. Regisseur Mathias verschwendet dann auch überhaupt keine Mühe darauf, das KZ Dachau eins zu eins nachzubauen. Das Grauen wird nicht mit dem Thrill der Authentizität aufge -motzt, sondern bis ins Unerträgliche stilisiert.

Max (Clive Owen) und Horst (Lothaire Bluteau) schleppen Stei -ne in Dachau. Von links nach rechts und dann wieder von rechts nach links. Irgendwann ist es Winter, dann tragen sie Schnee in ihren bloßen Händen, erst von links nach rechts und dann wieder von rechts nach links. Das hat nur einen Sinn: ihrer Existenz auch noch den letzten Sinn zu nehmen. Vorher mußte Max schon seinen Liebhaber er-morden und seine Homosexualität verleugnen. Sterben ist da eine Art Privileg.

Aber Bent ist auf verquere Art und Weise auch ein Film über ein Coming out. Und das KZ eine Welt, in der auf ebenso verquere Art und Weise die Liebe gedeiht. Max und Horst jedenfalls werden zu Liebenden, als sie sich in zwei Minuten Pause zwischen dem Steineschleppen Zärtlichkeiten zuraunen, ohne ihre Körper einander berühren zu lassen. Der Wunsch ist hier größer als die Wirklichkeit, der Gedanke überrumpelt die Grausamkeit. Und Identität ist, was du trotzdem bist.

Das Pathos hängt bei Bent schwer in der immer ein bißchen schwülen Luft. Das muß wohl so sein bei einem Film, der sich mit aller Kraft gegen das stemmt, was wir Realität nennen. Problematisch allerdings wird es, wenn Sean Mathias eine Gruppe von Stigmatisierten gegen die andere ausspielt. Die einen leiden doll, die anderen noch doller. So stehen die Homosexuellen ganz oben in der Hierarchie der Leidenden. Max bezahlt erst ein Bestechungsgeld, um einen gelben Winkel zu bekommen, der ihn als Jude ausweist und bessere Behandlung verspricht. Am Ende des Films zieht er dann die Jacke des ermordeten Horst an, auf der ein rosa Winkel prangt. Dann verreckt er am Hochspannungsstacheldraht, während die Kamera weihevoll in den Himmel kreist.

Vielleicht muß die Bekenner- Geste am Ende von Bent aus historischen Gründen dermaßen plakativ in Szene gesetzt sein, denn zuvor wird die schwule Subkultur im Deutschland der frühen Dreißiger als feige und hedonistisch gebrandmarkt. Der Film beginnt am Abend des Röhm-Putschs im Jahr 1934, Berlin gibt sich exzessiv und offen -herzig dem schwulen Treiben hin. Aber am Morgen nach der „Nacht der langen Messer“, also nach der Ermordung von Hitlers homosexuellem Stabschef Röhm und dessen Gefolgschaft, herrscht nur noch Verrat und Mißtrauen in der Szene. Der Nachtclub-Besitzer Greta zum Beispiel, gespielt von einem trutschigen Mick Jagger, verrät seine Gäste an die Gestapo, um danach den Transen-Fummel gegen einen seriösen Anzug einzutauschen. Max aber erfährt durch das Martyrium am Ende die Vollendung der eigenen Identität.

Die Weltsicht freilich, die in diesem Ablauf der Dinge impliziert ist, hat etwas wirklich Erschreckendes: Das Vernichtungslager läuft hier auf vollen Touren als Sinnstiftungsmaschine.

„Bent“ startet diese Woche im Zeise und im 3001 und läuft dann im Metropolis weiter.