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Viel zu viele Einzelfälle und kein Konzept

Auf St. Pauli herrscht Angst vor dem Bauboom, der den Stadtteil verändert  ■ Von Gernot Knödler

Ein „urban entertainment centre“ mit vielen Tausend Besuchern täglich am Millerntor, ein zweites am Nobistor, dazwischen eine Reihe nicht ganz so großer Bauprojekte – St. Pauli könnte sich in wenigen Jahren massiv verändern. Noch mehr Touristen, noch mehr Autos, die auf der Suche nach kostenlosen Parkplätzen durch die engen Anwohnerstraßen schleichen, höhere Mieten und weniger Einkaufsmöglichkeiten für die BewohnerInnen.

Die GAL Mitte und die Stadtteilinitiativen befürchten, daß genau das eintritt, wenn auf St. Pauli so weitergeplant oder besser nicht geplant wird wie zur Zeit. Für heute nachmittag haben sie deshalb zu einer Bettenparade und für heute abend zu einer Podiumsdiskussion eingeladen.

„Wogegen ich mich ganz vehement ausspreche, ist, das alles einzelfallbezogen zu betrachten“, sagt Claudius Lieven, Bezirksabgeordneter der GAL Mitte. Wohnen, Tourismus und Verkehr müßten im Zusammenspiel gesehen und die Wechselwirkungen der Projekte untereinander berücksichtigt werden. Was passiert, wenn tatsächlich alle verwirklicht werden? Wenn die Fans mit dem Auto zum neuen Stadion des FC St. Pauli fahren?

Wie kann die Reeperbahn die schiere Masse des festungsartigen Komplexes verkraften, der am Millerntor geplant ist, wie den breiten Stahl-und Glas-Riegel, der vor das Niebuhr-Hochhaus am Nobis-Tor gelegt werden soll?, fragt Sabine Stövesand vom Hafenrandverein. Werden Menschen aus dem Viertel in den neuen Gebäuden Arbeit finden, werden sie dort einkaufen, zum Frisör gehen oder sich vergnügen können? Die Versorgung der Bevölkerung werde durch die Aufwertung der Reeperbahn und die damit einhergehenden Mietsteigerungen leiden, prophezeit Stövesand und gibt zu bedenken: „Das ist eines der letzten innenstadtnahen Gebiete, wo Leute wohnen können, die wenig verdienen.“

Stövesand und Lieven verlangen daher, daß geplant wird, wie sich das Viertel insgesamt entwickeln soll, und die BürgerInnen daran beteiligt werden. Ein entsprechender Antrag der GAL war in der Bezirksversammlung von der Mehrheit von SPD und CDU abgeschmettert worden. Auf Antrag der SPD soll jetzt eine „teilräumliche Quartiersplanung“ zwischen Millerntor und Hans-Albers-Platz erarbeitet werden. Das Millerntor-Stadion, das Niebuhr-Hochhaus (Projekt „Kleine Freiheit“) und das Multiplex-Kino, für das ein Investor am Nobis-Tor einmal Interesse angemeldet hatte, sind darin jedoch nicht berücksichtigt. Zudem, kritisiert Lieven, werde der Verkehr nicht eingeplant.

Während kräftig gebaut wird, droht der Bücherhalle St. Pauli die Schließung, werden Planstellen in Drogenhilfe- und Jugendeinrichtungen gestrichen und kommen die Verhandlungen zum Sozial- und Gesundheitszentrum nicht vom Fleck. Dagegen soll mit der Betten- und Bücherparade demonstriert werden. Sie startet um 16.30 Uhr am Hafenkrankenhaus. Die Podiumsdiskussion zum Bauboom beginnt um 20 Uhr im „Kölibri“, Hein-Köllisch-Platz 12.

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