piwik no script img

■ NormalzeitErfreuliche Leuchtung in Tegel

Ein Regenschauer trieb mich in die Reinickendorfer Karaoke-Bar „Happy Paradise“ ab. Dort saß ich dann und wurde – da sofort als unmusikalisch eingeschätzt – von den singenden Jung-Thais nicht weiter beachtet, nachdem ich einen Tee bestellt hatte. „Happy Paradise“ grübelte ich vor mich hin: Ist das nun ein Pleonasmus oder ein Oxymoron?! Also so etwas Ähnliches wie ein „weißer Schimmel“ oder wie ein „eleganter Klepper“. – Selbst oder erst recht unter Berücksichtigung eines wahrscheinlich buddhistisch abgefederten Thai-Humors kam ich zu keinem brauchbaren Ergebnis.

Etwas später rief mich eine ältere Thailänderin an und fragte, ob ich sie ins buddhistische Kloster nach Frohnau fahren könne. Sie hatte nicht genug Geld für ein Taxi, aber zuviel zu tragen, um mit einem öffentlichen Verkehrsmittel fahren zu können. Ich fragte zurück: „Befinden sich die Wat-Thai- Klöster nicht in Wittenau und in Marzahn?“ „Ja, aber die dortigen Mönche werden so gut von den Berliner Thai-Frauen versorgt, daß sie schon ganz dicke Bäuche haben, während das Frohnauer Kloster von ceylonesischen Mönchen betrieben wird, die so arm sind, daß sie immer nur Bohnen essen. Einige Frauen, darunter auch ich, gehen deswegen seit einiger Zeit nur noch dorthin zum Beten.“ Ich verstand, auch wenn vielleicht in Wahrheit irgendein Zerwürfnis dahinter stand. Da ich zwar wußte, daß ein Berliner Arzt dieses buddhistische Kloster vor rund 80 Jahren gestiftet hatte, aber bisher noch nie dagewesen war, erklärte ich mich sofort bereit, Oy, so hieß die Frau, nach Frohnau zu fahren.

Es war ein wunderbares Anwesen auf einem hügeligen großen Waldgrundstück. Und überall gab es Meditationsanstöße. Ein Mönch führte mich durchs Haus, leise klagte er über die teuren Lebensmittelpreise – gerade in Frohnau, und wie wenig er andererseits bei irgendwelchen Hilfsarbeiten verdiene. Während Oy unten betete, die Blumen auf dem Altar arrangierte, aufräumte und dann den Mönchen Essen kochte, saß ich oben in der Bibliothek und blätterte in verschiedenen ins Deutsche übersetzten buddhistischen Büchern. So viel wurde mir klar: Diese Lehre schien sehr viel mit dem Individualanarchismus gemeinsam zu haben – sie war sozusagen seine aristokratische Veredelung. Die Deterritorialisierungsspirale: „Heimat – Heimatlosigkeit – Nirvana“. Das Achtpunkteprogramm zur Leidensminimierung in der Sorge ums Ich: als sanfte Reduktionsmoral. Der buddhistische Witz schien gerade in der Unentscheidbarkeit, ob das „Happy Paradise“ nun ein Oxymoron oder ein Pleonasmus ist, zu liegen: Das „Paradies“ ist per se für Buddhisten perdu – überwunden. Wenn ich das richtig verstanden habe.

Ich wurde abgelenkt. Zwei Bibliotheksbenutzer unterhielten sich laut über „Meriten“ und „Demeriten“ – worunter sie offensichtlich zwei Personengruppen verstanden. Wobei der eine die ob ihrer „Meriten“ von der Gesellschaft Ausgezeichneten favorisierte und der andere die als „Demeriten“ von derselben Gesellschaft Geschmähten lobte, weil sie sich mindestens objektiv „verweigerten“. Er mußte aber dann einschränken, daß sie subjektiv oftmals nicht weniger „glücksversessen“ waren als alle anderen. Sein Gesprächspartner verstand nicht ganz, was unter „Glück“ zu verstehen sei. Der andere kam mit einem Beispiel: Einige „durchaus verdienstvolle Arbeiter-Ehepaare in Treptow“, denen er mal beim Umzug geholfen hatte. Sie hätten, so erzählte er, derart aggressiv ihre ständige „Verbesserung“ und „Absicherung“ betrieben, daß sie – bis hin zu Computer, Fernostflug und Heimsolarium im Schlafzimmer – alles haben müßten, dabei werde aus Haß auf ihre Klasse langsam, aber sicher Rassenhaß. Helmut Höge

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen